Der Österreicher Martin Sellner ist spätestens seit seiner Festnahme infolge des Christchurch-Attentats der breiteren Öffentlichkeit bekannt. Der Obmann der Identitären Bewegung (IB) hatte Verbindungen zu ebendem Australier, der später 50 Menschen erschoss (vgl. Fiedler 2019). In der rechtsextremen Szene Deutschlands ist er allerdings schon wesentlich länger bekannt und hat mit Guerilla-Marketing, einem YouTube-Kanal und diversen Publikationen von sich reden gemacht. Sellner steht mit seinem modernen Look und aktionistischen Politikstil sinnbildlich für die Neue Rechte, deren Teil die IB ist. Trotz dieses neuen Anstrichs hat der Anschlag offengelegt, dass eine bestimmte Lesart des Identitätsbegriffs als Ausgangspunkt für Gewalt und Terror dienen kann. Deshalb soll hier versucht werden, sich dieser Möglichkeit über eine Betrachtung derer Denker zu nähern, die als Impulsgeber und Vorbilder genannt werden.
Martin Sellner selbst hat Philosophie studiert und im Antaios-Verlag des Pegida-Redners und neurechten Aktivisten Götz Kubitschek einen Gesprächsband zu Martin Heidegger herausgebracht. Heidegger wird dort zu einem identitären Denker stilisiert (vgl. Sellner/Spatz 2015). Diese Neigung zu Textarbeit und intellektuellem Habitus ist keine Ausnahme. Inzwischen hat sich innerhalb der Szene ein Kanon etabliert, der hauptsächlich aus der nationalistischen Bewegung der Weimarer Republik stammt und schon 1949 von Armin Mohler unter dem Sammelbegriff „Konservative Revolution“ zusammengefasst wurde (Mohler/Weissmann 1949). Dass diese Akteure keineswegs konservativ im bewahrenden Sinne dachten und mindestens ideologische Sympathien für den Nazistaat zeigten, wird schon aus ihren Biografien und Schriften klar (vgl. Breuer 1993). Die Linien zur „Konservativen Revolution“ werden heutzutage selbst gezogen: Neben seinem Dasein als Aktivist betreibt Martin Sellner als Unternehmer den Versandhandel „Phalanx Europa“. Dort muss man nach pathetischen Fanartikeln für diese Denker nicht lange suchen. Drei von ihnen sollen im Folgenden exemplarisch porträtiert werden:
Carl Schmitt
Der bereits mit 26 Jahren habilitierte Staatsrechtler Carl Schmitt profilierte sich in der Zwischenkriegszeit vor allem über seine weithin beachteten wissenschaftlichen Arbeiten. Zentral sind dabei die Konzepte von Souveränität, Raum, Volk und Identität. Sein Identitätsbegriff bezieht sich auf die Identität von Volk und Führer, also auf ein Identischsein (vgl. Hacke 2018). Daraus ergibt sich die Möglichkeit einer demokratischen Diktatur, die ohne parlamentarische Komponente funktioniert – antiliberal, aber nicht notwendig antidemokratisch. Der Führer artikuliert und realisiert dabei den politischen Willen, der dem Volk innewohnt und schützt ihn vor Zersetzung durch aus dem Parlamentarismus eingeschleuste, äußere Kräfte. Prämisse für diese Identität und damit für die demokratische Diktatur müsse aber immer eine Homogenität unter „Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen“ (Schmitt 1923: 14) sein. Es überrascht also nicht, dass er in Berlin eine Tagung unter dem Titel „Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den jüdischen Geist“ leitete (Schmitt 1936). Bei der IB hallen diese Ideen wider im Konzept des Ethnopluralismus: Die Völker sollen voneinander abgeschieden existieren und leben nach ihrem inhärenten, eindeutigen und einheitlichen Willen.
Aus der Homogenitätsbedingung folgt für Schmitts Demokratieverständnis die strikte räumliche Begrenzung. Er lehnte den Völkerbund und den damit assoziierten Universalismus (vor allem der Minderheitenrechte) grundsätzlich ab. Dem Kontext entspringt auch das Zitat auf Aufklebern im Phalanx-Shop: „Wer Menschheit sagt, will betrügen“. Als Gegenentwurf zu den Menschenrechten schlug Schmitt ein „Volksgruppenrecht“ vor, das als Ausdruck souveräner Selbstbestimmtheit lokal beschränkt gelten sollte (Schmitt 1941: 306).
Ernst Jünger
Während des 1. Weltkriegs war Ernst Jünger Offizier und publizierte in der Weimarer Republik die Eindrücke aus seinen Tagebüchern. Sein Stil war dabei weniger autobiographisch als ästhetisch. Er schilderte Eindrücke, Szenen und nahm dabei die Rolle des Beobachters ein. Die Veröffentlichungen „In Stahlgewittern“ und „Der Kampf als inneres Erlebnis“ sind gezeichnet von heroischen Soldatenfiguren: Der Krieg befreit den Menschen von einer als dekadent empfundenen Zivilisation und wirft ihn zurück in archaische ergo natürliche Verhaltensweisen (vgl. Lühe 2018).
Jünger wurde aber auch politisch expliziter. 1923 publizierte er im NSDAP-Parteiblatt „Völkischer Beobachter“ und stritt dort für Hakenkreuz und Diktatur (vgl. Jünger/Berggötz, 1921: 33). Den im Phalanx-Shop vertriebenen Aufkleber ziert der Spruch „Weil wir die echten, wahren und unerbittlichen Feinde des Bürgers sind, macht uns seine Verwesung Spaß.“. Bereits diese im September 1929 verfasste Losung zeigt auf, welche Lust am Verfall demokratischer Ordnung Jünger in der Weimarer Republik verspürte (vgl. Kesting 1969). Obschon er im Vorlauf der Machtergreifung an seiner autoritären Haltung festhielt und unzweideutig antisemitische Schriften (vgl. Jünger 1930) verfasste, bleib er auf Distanz zum NS-Staat. Jünger lehnte alle Avancen ab – zu sehr gefiel er sich in der Rolle des Anarchen und Beobachters. Als solcher inszenierte er sich auch nach 1945. Er wurde zu einem allseits angesehenen Literaten, erntete die Bewunderung des Bundeskanzlers Kohl.
Arthur Moeller van den Bruck
Die zweifelhafte Ehre eigener Aufkleber ist auch Arthur Moeller van den Bruck vergönnt. Der Literaturgeschichte ist er vermutlich eher – ohne Russisch zu können – als der Autor der Vorworte der ersten deutschen Dostojewski-Übersetzungen bekannt (vgl. Voigt 2014: 111). Aber auch politisch hat er relevante Beiträge verfasst. Ähnlich wie Schmitt verachtete er die Weimarer Republik, was er 1923 in seinem Opus Magnum „Das Dritte Reich“ deutlich machte. Der Begriff feierte damit zehn Jahre vor der Machtergreifung sein Comeback. Moeller teilte die Völker in die Kategorien jung und alt ein. Das ist hier weniger auf ein geschichtliches Alter bezogen, sondern auf eine innere Geisteshaltung. Nur aus einem jungen Volk könne ein eigener Stil erwachsen und das Potential sah er in der schicksalhaften Verbrüderung Deutschlands und Russlands (vgl. Lommatzsch 2012). Trotz seiner national-revolutionären Haltung lehnte er den Bolschewismus nicht grundsätzlich ab, sondern sah ihn als Chance für eine deutsche Expansion nach Osten. Ziel bleib damals immer die Errichtung des Reichs, verstanden als Begriff der vom Staat abgegrenzt wurde und zu ihm stand wie die eine Kirche zur Sekte (Moeller 1931: 305). Nach dem Ende der Sowjetunion und mit der Etablierung des System Putin war auch der Widerspruch der intellektuellen Rechten beendet, den man zwischen Russland als antiliberalen Partner und seiner kommunistischen Realität gesehen hatte. Moellers Ideen haben in Russland wie Europa vor allem durch die Popularität des Philosophen Alexander Dugin wieder an Präsenz gewonnen, der die Idee einer eurasischen Identität ins Zentrum seines Handelns stellt. Dugin sieht im Liberalismus amerikanischen Stils einen „Ethnozid“ – Moellers Kernthese heißt: „Am Liberalismus gehen die Völker zugrunde.“ (Weiß 2017: 196ff.)
Fazit
Dieser verkürzte Überblick soll illustrieren, welche Denker die intellektuelle Rechte in Deutschland beschäftigt und weshalb Identität ein so zentraler Begriff rechtsradikaler Argumentation geworden ist. Die politischen Konzepte der Konservativen Revolution sind in ihrer Vielfalt natürlich im Laufe der Jahre stetig neu rezipiert und weiterentwickelt worden. So beziehen sich auch zeitgenössische Vordenker der Neuen Rechten wie Alain de Benoist oder Götz Kubitschek immer wieder auf sie. In Deutschland strahlt ihre Faszination bis weit in die AfD hinein. Die politischen Konzepte der Neuen Rechten sind also im Kern nicht neu. Bei aller Widersprüchlichkeit der globalisierten Welt ist es wichtig, klar zu benennen, welch wütende Ablehnung der universellen Menschenrechte, des Judentums und der Moderne ihnen allen im Kern innewohnt.
Quellen
Breuer, S. (1993): Anatomie der Konservativen Revolution. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 2. Auflage 1995.
Fielder, M. (2019): Identitären-Chef bekam offenbar Geld von Christchurch-Attentäter. In: Tagesspiegel, 26.03.2019. Online verfügbar unter: https://www.tagesspiegel.de/politik/hausdurchsuchung-bei-martin-sellner-identitaeren-chef-bekam-offenbar-geld-von-christchurch-attentaeter/24145238.html [Zugriff: 09.05.2019].
Hacke, J. (2018): Carl Schmitt: Antiliberalismus, identitäre Demokratie und Weimarer Schwäche. In: Zentrum Liberale Moderne, 2018. Online verfügbar unter: https://gegneranalyse.de/personen/carl-schmitt/ [Zugriff: 08.05.2019].
Jünger, E. (1930): Über Nationalismus und Judenfrage. In: Süddeutsche Monatshefte. 27. Jg. 1930/12. S. 845.
Jünger, E.; Berggötz, S.O. (2001): Politische Publizistik 1919 bis 1933. Stuttgart: Klett-Cotta. 2. Auflage 2013.
Kesting, M. (1969): Das Radikale schlechthin. In: Die Zeit, 16.05.1969. Online verfügbar unter: https://www.zeit.de/1969/20/das-radikale-schlechthin/seite-3 [Zugriff: 08.05.2019].
Lommatzsch, E. (2012): André Schlüter: Moeller van den Bruck. Leben und Werk. In: George-Jahrbuch 2012/01. S. 318–320.
Moeller van den Bruck, A. (1916): Der Preußische Stil. Breslau: Korn. 3. Auflage 1931.
Mohler, A.; Weißmann, K. (1949): Die konservative Revolution in Deutschland 1918 – 1932. Graz: Ares-Verlag. 6. Auflage 2005.
Schmitt, C. (1936): Die Deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den jüdischen Geist. In: Das Judentum und die Rechtswissenschaft. Ansprachen, Vorträge und Ergebnisse der Tagung der Reichsgruppe Hochschullehrer des NSRB. Berlin: Deutscher Rechts-Verlag. S. 14–18.
Schmitt, C. (1923): Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus. Berlin: Duncker und Humblot. 8. Auflage 1996.
Schmitt, C. (1941): Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte. Berlin: Duncker & Humblot. 4. Auflage 1991.
Sellner, M.; Spatz, W. (2015): Gelassen in den Widerstand. Schnellroda: Antaios.
Voigt, S. (2014): Die Akte Moeller van den Bruck. In: Zeitschrift für Ideengeschichte. Heft VIII/01. München: C.H. Beck. S. 111–113.
Von der Lühe, I. (2018): Ernst Jünger – Die Amoralität des Ästheten. In: Zentrum Liberale Moderne, 2018. Online verfügbar unter: https://gegneranalyse.de/personen/ernst-juenger/ [Zugriff: 08.05.2019].
Weiß, V. (2017): Die autoritäre Revolte. Stuttgart: Klett-Cotta. 2. Auflage 2017.