Verantwortung

„Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast. Du bist für deine Rose verantwortlich.“

Lieber Leser_innen,

Hans Jonas (1903–1993) begründet mit seinem Imperativ der Verantwortung „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen mit der Permanenz menschenwürdigen Lebens verträglich sind.“ das Prinzip der Verantwortung (1979).

Aber was ist Verantwortung? Von einem einzigen Verantwortungsbegriff, von der Verantwortung zu sprechen, greift im Hinblick auf die zahlreichen Bedeutungsinterpretationen und verschiedenen Disziplinen, in denen Verantwortung eine Rolle spielt, zu kurz – auch wenn der Begriff in zahlreichen Sprachen das Wort „Antwort“ enthält. Und inwieweit ist Verantwortung das Thema, das die Herausforderungen und Fragen unserer Zeit aufgreifen kann?

Verantwortung & Umwelt: Zentrale Probleme begegnen uns in einer Zeit der Überbevölkerung, der Ressourcenverknappung und des Klimawandels. Die Frage nach Verantwortlichkeiten und Verantwortungszuschreibung scheint in diesem Kontext omnipräsent. Doch warum divergieren menschliches Umweltbewusstsein und Umweltverhalten so stark und warum reicht das bloße Wissen darüber nicht aus? Insbesondere in den uns weitestgehend unbekannten Bereichen, wie die Tiefsee, wird die Verantwortungszuschreibung unklar – denn wer trägt die Verantwortung für Ökosysteme, die niemandem gehören, auf die wir jedoch zwingend angewiesen sind? Das „Aus den Augen, aus dem Sinn“-Prinzip greift auch in der Abfallwirtschaft: Die Verantwortung wird nahezu mit den Abfällen exportiert, die damit verbundenen Auswirkungen werden übersehen und ignoriert. Was am Ende bleibt, ist das Individuum als „Agent of Change“; Endverbraucher_innen, die die Welt retten sollen – kann das individuelle Konsumverhalten zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen? Und welche Verantwortung obliegt den Institutionen?

Verantwortung in Wissenschaft & Technik: Im Rahmen des Studiums, der Forschung, der Lehre und der Wissenschaft befinden wir uns in einem Sammelsurium von zahlreichen Disziplinen, in denen verantwortungsvolles Handeln eine zentrale Rolle spielt. Der Eid des Hippokrates formuliert die grundlegende Ethik für die Medizin – kann ein solcher nicht auch ein Vorbild für Technik- und Naturwissenschaften sein? Ist nicht jede Wissenschaftsdisziplin in der Pflicht, moralische Verantwortung zu übernehmen? Ethische Diskurse sind aktuell insbesondere im Bereich der Digitalisierung und Künstlichen Intelligenz prägnant: Was haben technologische Fortschritte für Folgen und wer übernimmt die Verantwortung im Falle des Scheiterns? Letzteres ist genauso im Städtebau und Bauingenieurwesen relevant – Gebäude gelten als Fundament menschlichen Lebens und Arbeitens, werden in ihrer Rolle und Funktion aber häufig als selbstverständlich erachtet. Und wie steht es um die moralisch-medizinische Gretchenfrage der menschlichen Existenz: Wer entscheidet, welches Leben lebenswert ist und welches nicht?

Verantwortung & Gesellschaft: Zahlreiche Diskurse und Fragen im Hinblick auf Verantwortung basieren zunehmend auf der Rolle der Aufklärung und Bildung. Eine zentrale Funktion haben hier diejenigen, die ihre Gedanken verschriftlichen und festhalten: Das geschriebene Wort kann Diskurse eröffnen und gesellschaftliche Meinungen formen – Journalist_innen moderieren das Zeitgespräch der Gesellschaft. Aber was geschieht, wenn sie sich irren? Individuen sind nicht nur auf ihre Funktion als Konsument_innen von Ressourcen oder Medien zu reduzieren, sie sind in demokratischen Systemen vor allem Bürger und Bürgerinnen, Akteure der Zivilgesellschaft. Entsprechend kommt insbesondere der Schule als Institution der Aufklärung eine bedeutende Verantwortung zu. Häufig wirken Medien diesem Erziehungsauftrag jedoch entgegen: Vor allem soziale Medien können einen bedeutenden Einfluss auf die individuelle Haltung und Überzeugung haben – was geschieht, wenn diese missbraucht wird? Ähnlich verhält es sich in der Filmkunst: Unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten schaffen Raum für widersprüchliche Wertvorstellungen: Tragen die kreativen Schaffenden von Film, Kunst und Medien die Verantwortung für ihre Botschaft? Nach Hans Jonas basiert Verantwortung auf Macht – bedeutet mehr Macht entsprechend auch mehr Verantwortung? Und kann diese einen monetären Wert haben? Unsere gängige Vorstellung von Verantwortung ist die Verantwortung für eine Handlung. Aber wenn jedes Tun und Lassen aussichtslos wird, was kann Verantwortung dann noch heißen? Und offenbart sich dadurch eine andere Dimension von Verantwortung?

Wir freuen uns, diese und weitere Fragen sowie Problemstellungen mit euch teilen zu können und präsentieren euch nun die neunte philou. Durch den Fokus auf die Diversität und Interdisziplinarität der Themen wollen wir zeigen, dass das inneruniversitäre Gespräch eine der höchsten Prioritäten im Studium genießen muss. Wir wollen euch hiermit Anreize zu neuen Überlegungen liefern und hoffen, dass euch die neunte Ausgabe genauso gefällt wie uns!

Eure philou. Redaktion

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