To boldly go where no man has gone before

Star Trek zählt zu den erfolgreichsten Franchises der Science-Fiction. Zusammen mit dem jüngeren Erzrivalen Star Wars beweist es mediale Langlebigkeit: eine Eigenschaft, die in der aktuellen Fließbandproduktion von TV-Serien selten geworden ist. Jedoch zeigt sich die Erfolgsgeschichte erst im Rückblick über mehrere Jahrzehnte hinweg: Tatsächlich befand sich das Franchise regelmäßig vor dem Aus. Sein erstes jähes Ende drohte dem Franchise als es noch nicht einmal angelaufen war (vgl. Geraghty 2007: 2): Nach ambivalenten Jahren der ständigen Neukonzipierung verbunden mit Finanzierungsengpässen schaffte es Star Trek schließlich 1966 ins Hauptabendprogramm des amerikanischen Senders NBC. An diesem Abend sprach William Shatner erstmals in der Rolle des Captain James T. Kirk die legendär gewordenen Worte:

„Space: the final frontier. These are the voyages of the starship Enterprise. Its five-year mission: to explore strange new worlds. To seek out new life and new civilizations. To boldly go where no man has gone before!”

60 Minuten lang düste das Raumschiff Enterprise wöchentlich im Zickzack über die neuen Farbbildschirme, die eine ferne Zukunft technischer Selbstbestimmung greifbar machten. Kirk, Mr. Spock und der zynische Schiffsarzt Pille adressierten in knallig bunten Uniformen ein Publikum, für das der Zukunftsoptimismus der Nachkriegszeit wiederholt zerbrechlich und illusorisch geworden war: Drohender Atomkrieg und Kubakrise (1962), Kennedyattentat (1963) und die mit Gewalt unterdrückte Bürgerrechtsbewegung (1965) sind nur einige Schlaglichter einer prekären Zeit mit düsteren Zukunftsprognosen. Gene Roddenberry (1921–1991), der Gründer von Star Trek, wollte demgegenüber ein immersives Stimmungsbild einer positiven Zukunft erschaffen und nutzte dazu als Schablone die große Unbekannte des Alls.

Nicht zufällig orientierte sich Roddenberry in seiner Konzeption an der erfolgreichen Western-Serie Wagon Trains, die von den Abenteuern eines Zugs zwischen Missouri und Kalifornien im Nachbürgerkriegsamerika handelt. Im Bezwingen der fremden Welten mit Gastauftritten prominenter Persönlichkeiten inszenierte die US-Kultserie im Wilden Westen jene Ideale, auf denen das Narrativ des ‚American Dream‘ in den 1960ern aufbaute. Roddenberry verlegte dieses mit dem Nachkriegs-Amerika der 1960er als in Erfüllung gegangen geglaubtes Stimmungsbild drei Jahrhunderte in die Zukunft (vgl. Pilkington 2010: 80). Damit installierte er auf den heimischen Farbbildschirmen eine emotionale Verschränkung zwischen dem kulturellen Gedächtnis der USA und einer unbekannten Welt mit neuen Möglichkeiten. Das erlaubte ihm, im extravaganten Design der Zukunft die amerikanische Vergangenheit der ersten Siedler positiv verstärkt und technisch verklärt im Weltraumunternehmen der U.S.S. Enterprise wiederzufinden (vgl. Reeves-Stevens 1995). Gleichzeitig verliehen der rasante technische Fortschritt und die ersten bemannten Raumflüge ab 1961 seinem futuristischen Blick ins All den Beigeschmack einer unmittelbar bevorstehenden Wirklichkeit. Damit lockte Star Trek seine Fans mit einem suggestiven Realismus, der trotz bzw. aufgrund seiner Phantasmen die Grenze zur Lebenswelt der Zuschauer_innen zu überschreiten versprach.

Nach nur drei Staffeln wurde die Produktion der Serie 1969 trotz Proteste einer kleinen Fangemeinde eingestellt, lancierte aber in den Folgejahren international, nicht zuletzt aufgrund der Mondlandung 1969, zur amerikanischen Kultserie der 70er Jahre. Es war dem Kassenschlager Star Wars zu verdanken, dass die Paramount Studios mit Star Trek den Sprung auf die große Leinwand wagten und ein kinematografisches Trial-and-Error Experiment auf Schiene brachten, das mit Stand 2020 bisher 13 Kinofilme und 10 Fernsehserien hervorbrachte.

Da sich Star Trek, anders als Star Wars, als unsere vermeintliche Zukunft inszeniert, arbeitet das Franchise bewusst und häufig mit Rezeptionen aus der Kultur- und Ideengeschichte seines Zielpublikums, angefangen mit Referenzen aus der Antike (vgl. Wenskus 2007), Fragen aus der Philosophiegeschichte und den Weltreligionen (vgl. Kraemer 2001), der Wirtschaft und den Sozialwissenschaften (vgl. Saadia 2016) sowie politischen Ereignissen und Entwicklungen (vgl. Gonzalez 2015). Star Trek provozierte oft und gerne, zum Beispiel mit dem ersten Kuss zwischen einer schwarzen Frau und einem weißen Mann im Fernsehen. Auch physikalisch-technische Grenzüberschreitungen wie zum Beispiel das Reisen mit vielfacher Lichtgeschwindigkeit (Warp-Antrieb), der augenblickliche Ortswechsel zwischen großen Entfernungen (Beamen), oder die unbegrenzte Reproduktion neuer und alter Welten mit Hologrammen (Holodecks) wurden nicht nur Teil der Popkultur, sondern zum Referenzpunkt naturwissenschaftlicher Spekulationen. Paralleluniversen und Zeitreisen entfesselten die Vorstellungskraft und erlaubten der Serie kulturtechnisch ins Leben der Zuschauer_innen einzugreifen: Zum Beispiel reist die Raumschiffbesatzung ins San Francisco des Jahres 1986 und sucht eine im 23. Jahrhundert schon ausgestorbene Walart oder beamt sich in Talkshows, während die Schauspieler_innen mit ihren Star Trek Rollen zwischen Fakt und Fiktion spielen.

Die Inszenierung dominanter wie auch alternativer Geschichtsnarrative, Wertvorstellungen und kultureller Identifikationen in außerirdischen Gewändern versuchte das ‚nächste Fremde‘ der Menschheit in ihrer eigenen Zukunft zu entdecken und die amerikanische Weltsicht kritisch zu hinterfragen.  Dabei bemühte das Franchise durchaus komplexe Ambiguitäten und Ambivalenzen: Beispielsweise stand den Klingonen, die als Feindbild à la futuristischer Sowjetunion inszeniert wurden, der Russe Pavel Chekov als Teil einer vereinten Menschheit auf der U.S.S. Enterprise gegenüber (vgl. Pilkington 2010: 55). In der Nachfolgeserie Star Trek The Next Generation, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gedreht wurde, übernahm der Klingone Worf Chekovs Position und kämpfte als Teil der intergalaktischen Sternenflotte gegen den neuen Feind: die Borg. Inspiriert von Donna Haraways A Manifesto for Cyborgs (1985) konfrontierte sich das bisher technologieoptimistische Star Trek nun mit einem Gegner, der als transhumanistisches Kollektiv von Cyborgs, Selbstbestimmung und Individualität auf eine vollständige Technisierung hin zu assimilieren versuchte (vgl. Dinello 2016: 90).

Seit seinen Anfängen sah sich das Franchise in seiner visuellen Sprache als moralische und gesellschaftspolitische Avantgarde. Das liberale Ethos wurde ikonisch mit detaillierten Ansichten von Raumschiffdesigns und futuristischen Gebrauchsgegenständen untermalt, wie z.B. Tablets mit Touchscreenfunktion 30 Jahre vor dem iPad. Dennoch steht Star Trek auch für eine unreflektierte Reproduktion dessen, was es ursprünglich zu überwinden versprach: Nicht selten spielte das Franchise mit rassistischen, sexistischen und kapitalistischen Untertönen (vgl. Wright 2009: 94). Bezeichnend dafür ist in den Raumschiffen eine Gestaltungspraxis fremder Spezies und deren Modellierung an den dominanten Körperidealen des neo-liberalen Zielpublikums. In der Außendarstellung der Raumschiffe im Weltraum fällt auf, dass diese sich größtenteils zweidimensional auf einer einzigen horizontalen Ebene bewegen, während die Mehrzahl kinematografischer Visualisierungen im Science-Fiction gerade damit spielt, dass im schwerelosen Weltraum kein Oben und Unten existiert. All diese reproduzierenden Praktiken dominanter Menschen- und Weltbilder entlarven „die Sternenreise zu fremden Galaxien, neuem Leben und neuen Zivilisationen“ (vgl. Geraghty 2007: 40) als eine konstruierte Absicherung der eigenen Denk- und Wahrnehmungsweise sowie Vormachtstellung im Universum.

In Star Trek Deep Space Nine und der jüngeren Serienexplosion neuer Star Trek Serien, unter anderem Discovery, Strange New Worlds, Prodigy, Lower Decks und Picard wird der traditionelle Zukunftsoptimismus von Star Trek abgelegt und das Franchise zeigt ein düstereres Bild einer Menschheit im Weltraum. Jahrelang eingesperrt auf engstem Raum zwischen Maschinen, ständig dem Tod ausgeliefert und das Gewaltpotential in den Untiefen der eigenen Psyche keineswegs überwunden, zeigt sich die unendliche Weite von ihrer monströsen Seite. Die Verdüsterung veranlasste 2017 Seth MacFarlane (Family Guy) zur Serie The Orville, einer Hommage sowie Persiflage auf die Star-Trek-Serien.

Star Trek bleibt auch in seinen neuen Formaten der originären Kulturtechnik treu: Mit futuristischer Imagination möchte es ein unterhaltsames Diagnoseinstrument für seine Zuschauer_innen anbieten, moralische Urteile zu fällen. Das Kultfranchise versucht damit ein paradox-ambivalentes Phantasma unserer alltäglichen Welt zu inszenieren, das Missstände oft eher naturalisiert als diese schonungslos aufzudecken.

Literatur

Dinello, D. (2016): The Borg as Contagious Collectivist Techno-Totalitarian Transhumanists. In: The Ultimate Star Trek and Philosophy. The Search for Socrates. Chichester: Wiley. S. 83–95.

Geraghty, L. (2007): Living with Star Trek. American Culture and the Star Trek Universe. New York: I. B. Tauris.

Gonzalez, G. (2015): The Politics of Star Trek. Justic, War, and the Future. New York: Palgrave.

Haraway, D. (1985): A Manifesto for Cyborgs: Science, Technology, and Socialist Feminism in the 1980’s. In: Socialist Review 80. S. 65–108.

Kraemer, R.; Cassidy, W.; Schwartz, S. (2001): Religions of Star Trek. Boulder: Westview Press.

Pilkington, A. G. (2010): Star Trek: American Dream, Myth and Reality. In: Star Trek as Myth. Essays on Symbol and Archetype at the Final Frontier. London: McFarland. S. 54–66.

Reeves-Stevens J.; Reeves-Stevens. G. (1995): The Art of Star Trek. New York: Simon and Schuster.

Saadia, M. (2016): Trekonomics. The Economics of Star Trek. San Francisco: Pipertext.

Wenskus, O. (2008): Umwege in die Vergangenheit: Star Trek und die griechisch-römische Antike. Innsbruck: Studienverlag.

Wright P. (2009): Film and Television, 1960–1980. In: The Routledge Companion to Science Fiction. New York: Routledge. S. 90–101.

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