Im Kontext sich mehrender Wahlerfolge rechter Parteien allein in Deutschland und rechtsextremistisch motivierter Terroranschläge weltweilt, rückt Rechtsextremismus immer mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit politischer Verantwortungsträger*innen.
Die Fallzahlen der politisch motivierten Kriminalität im Jahr 2022 in Deutschland zeigen, dass rechte Straftaten den zweitgrößten Bereich innerhalb dieser ausmachen. Darüber hinaus wurden nur im Bereich der sogenannten sonstigen Zuordnung mehr politisch motivierte Straftaten begangen. Maßgeblich traten diese Fälle im Zusammenhang mit Corona-Protesten auf. Die Bundesministerin des Inneren Nancy Faeser (SPD) hält in der Pressemitteilung zur Veröffentlichung dieser Zahlen fest, dass „vom Rechtsextremismus […] nach wie vor eine besonders hohe Gefahr“ (BMI 2023a) ausgeht. Als rechts motiviert werden in dieser Erfassung laut Bundeskriminalamt (BKA) potentiell jene Straftaten gezählt, denen eine „Annahme einer Ungleichheit bzw. Ungleichwertigkeit der Menschen“ (BKA 2023) zu Grunde liegt. Weitergehend als rechtsextremistisch klassifiziert werden Straftaten „bei denen Bezüge zum völkischen Nationalismus, zu Rassismus, Sozialdarwinismus oder Nationalsozialismus ganz oder teilweise ursächlich für die Tatbegehung waren“ (BKA 2023). Diese Definition von Rechtsextremismus deckt sich mit dem Verständnis des Bundesministeriums des Inneren und für Heimat (BMI) von diesem, wobei das BMI darüber hinaus betont, dass es sich beim Rechtsextremismus nicht um ein geschlossenes Weltbild handelt (vgl. BMI 2023b). Die rechtsextremistische Ideologie oder Ideologien sind also in gewissem Maße formbar und zugänglich für neue, grundsätzlich übereinstimmende Ideen. Weiterhin sind vor allem auch anti-demokratische Haltungen elementarer Bestandteile von Rechtsextremismus und rechtsextreme Gruppierungen streben meist explizit danach, eine „überkommene[…] Ordnung“ (Lenz & Ruchlak 2001: 183) wieder zu errichten. Rechtsextremismus stellt also in seiner Opposition zur (und im Kampf gegen die) freiheitlich demokratische Grundordnung eine konkrete Bedrohung für ein friedliches Zusammenleben dar.
Zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und rechtsextremistischem Gedankengut existieren aufgrund dieser Problematik bzw. der Bedrohungslage vielfältige Strategien. Eine dieser Strategien ist die politische Bildung. Das BMI führt im Rahmen der Vorstellung seines Aktionsplans gegen Rechtsextremismus aus, dass politische Bildung „ganz entscheidend zur Aufklärung, Sensibilisierung und Qualifizierung von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren an Schulen sowie in der Jugend- und Erwachsenenbildung bei[trägt].“ (BMI 2022: 5f.). Inwiefern politische Bildung jedoch der Entwicklung bzw. der Präsenz von rechtsextremem Gedankengut in der Gesellschaft entgegenwirken kann, soll im Folgenden analysiert werden.
Der Begriff der politischen Bildung, so wie er heutzutage häufig genutzt wird, steht laut Detjen (2013) oft verkürzt als Oberbegriff für eigentlich verschiedene Aspekte der Bildung und Erziehung. Er nennt hier die politische Sozialisation, die staatsbürgerliche Erziehung, die politische Bildung und die Sozialerziehung (vgl. Detjen 2013), wobei hierzu eine Erläuterung der Unterscheidung zwischen Bildung und Erziehung relevant ist. Im Deutschen hat der Begriff Bildung aufgrund seiner tiefgehenden „geistes- und pädagogikgeschichtliche[n] Wurzeln“ (Fuchs-Heinritz 2020: 99) eine besondere Konnotation, beispielsweise im Gegensatz zu Entsprechungen des Begriffs in anderen Sprachen. Bildung wird dabei, basierend auf Denkern wie Wilhelm von Humboldt oder Immanuel Kant, konzeptualisiert als explizit aktiver Prozess, welcher ein Individuum (größtenteils) eigenständig vorantreiben muss, um zu einem mündigen Bürger zu werden (Tenorth, 2013). Die Unterscheidung zwischen Bildung und Erziehung stellt Detjen (2013) nun jedoch unter Bezugnahme auf die aus der Antike stammenden Begriffe der educatio/eruditio bzw. formatio her. Aus dem Wortsinn dieser Begriffe abgeleitet ergibt sich für Erziehung das Ziel des Einwirkens „auf das Verhalten des Menschen“ und für Bildung der Anspruch, „die Persönlichkeit des Menschen zu kultivieren“ (Detjen 2013: 3).
Die politische Sozialisation, die Detjen als ersten Teil dessen identifiziert, was oft in der Umgangssprache als politische Bildung bezeichnet wird, kann sowohl absichtlich, allerdings ebenfalls auch passiv und nicht intendiert erfolgen. Insbesondere diese zweite Form der politischen Sozialisation wird inzwischen als sehr einflussreich wahrgenommen (Detjen, 2013). Bei der staatsbürgerlichen Erziehung handelt es sich wiederum, der Erläuterung zum Wortsinn entsprechend, um eine bewusste Einwirkung auf den Menschen. Diese hat zum Ziel, dass die Staatsbürger*innen „nicht nur seine Rechte wahrzunehmen wissen, er soll auch und vor allem seine staatsbürgerlichen Pflichten erfüllen.“ (Detjen 2013: 3) Des Weiteren differenziert Detjen die Sozialerziehung von der politischen Bildung. Obwohl diese im eigentlichen Sinne nicht im Kontext politischer Bildung stehe, sei sie doch oft mitgemeint, wenn in der Öffentlichkeit von politischer Bildung gesprochen wird. Das Interesse der Sozialerziehung liegt in der Aufzucht einer sozialen Grundeinstellung, die z. B. Werte wie „Kooperationsbereitschaft, […] Solidarität und Toleranz“ (Detjen 2013: 4) beinhaltet und somit durchaus ebenfalls als wichtiger Grundbaustein des guten Zusammenlebens verstanden werden kann.
Was Detjen eigentlich unter politischer Bildung versteht, ist eine Form der Bildung, die einen mündigen Menschen hervorbringen soll, welcher „seine Anlagen vervollkommnet hat, sich moralisch selbst bestimmen kann und an den öffentlichen Dingen gebührenden Anteil nimmt“ (Detjen 2013: 4). Was dabei implizit bleibt ist, dass ein mündiger Mensch hier selbstverständlich auch als „gute[r] Bürger“ (Detjen 2013: 4) verstanden wird.
Nach einer Annäherung an den Begriff der politischen Bildung soll nun betrachtet werden, welche Ansätze politische Bildung präsentiert, um rechtsextremistisches Gedankengut zu bekämpfen. Bezüglich des Begriffs der Prävention in diesem Kontext ist anzumerken, dass es sich bei Rechtsextremismus um „ein umfassendes, verfestigtes Einstellungssyndrom“ (May/Heinrich 2020: 70) handelt. In der Präventionsarbeit bzw. in der Bildungsarbeit gegen Rechtsextremismus genutzte Maßnahmen richten sich allerdings meistens gegen einzelne Phänomene dieses Einstellungssyndroms (vgl. May/Heinrich 2020). So können Maßnahmen dann beispielsweise spezifisch auf rassistische oder sexistische Einstellungen abzielen. Des Weiteren kann über eine Definition von Zielgruppen die Wirksamkeit von politischen Bildungsmaßnahmen eingeschätzt werden. Floris Biskamp (2017) schlägt hierfür eine Unterteilung in fünf Zielgruppen vor: Die potenziellen und realen Opfer, politische Bildner*innen (hauptsächlich Lehrer*innen), die Offenen, die Rechtsaffinen und die Rechtsextremen. Im Folgenden sollen kurz die Maßnahmen erwähnt werden, die sich an den letzten drei Gruppen orientieren. Unter den Offenen versteht Biskamp dabei Personen, „die keinen nennenswerten Bezug zu rechtsextremen Strukturen und keine ausgeprägte Neigung zu rechtsextremer Ideologie haben“ (Biskamp 2017: 162). Allerdings kann von den Zugehörigen dieser Gruppe trotzdem z. B. antisemitisches oder sexistisches Gedankengut reproduziert werden. Zu dieser Gruppe zählen, laut Biskamp, die meisten Bevölkerungsmitglieder. Daher sind die Ziele von an sie gerichteter politischer Bildung hauptsächlich dahingehend definiert, dass sich rechtsextreme Ideologie bei ihnen nicht verfestigt und stattdessen die demokratischen Einstellungen dieser Personen gefördert werden sollen (vgl. Biskamp 2017). Bei den Rechtsaffinen spricht Biskamp von Personen, die insgesamt näher an der rechtsextremen Szene stehen und deren Weltbild in der Tendenz rechtsextremen Denkmustern folgt, die allerdings „noch kein geschlossen rechtsextremes Weltbild haben und sich nicht regelmäßig in rechtsextremen Kreisen bewegen“ (Biskamp 2017: 163). Während das Verhindern einer weiteren Radikalisierung zwar bei Biskamp genannt wird, stellt er jedoch den Schutz von anderen Personen vor psychischen und physischen Schäden in den Vordergrund. In Bezug auf Rechtsextreme, Menschen mit einem geschlossen rechtsextremen Weltbild, legt Biskamp dar, dass politische Bildung letztlich hier keine Wirkmächtigkeit mehr hat. Für eine Deradikalisierung seien professionelle Ausstiegsprogramme dahingehend eher die richtige Anlaufstelle. May und Heinrich sprechen in ihrem Werk zur pädagogischen Präventionsarbeit von 5 bis 10% der Jugendlichen, die sich im Spektrum zwischen den Rechtsaffinen und den Rechtsextremen bewegen und somit also nicht mehr die Hauptzielgruppe politischer Bildungsarbeit bilden.
Biskamp (2017) widmet sich dieser Frage ebenfalls, stellt seinen Überlegungen jedoch voraus, dass die Studienlage zur Wirksamkeit von politischer Bildung eher dünn ist. Andere Studien weisen ebenfalls auf eine schmale Untersuchungsbasis sowie methodische Schwierigkeiten in der Untersuchung der Wirkung hin. Allerdings wird in diversen Studien ebenfalls festgehalten, „dass politische Bildungsmaßnahmen in der Lage sind, intendierte Bildungseffekte hervorzubringen“ (Becker 2011: 157). Auch eine Evaluationsstudie zu den Langzeitwirkungen eines Präventionsprogrammes, welches unter Grundschüler*innen durchgeführt wurde, zeigt sechs Jahre nach Durchführung des Programmes noch messbare positive Effekte bei den Schüler*innen.
Es lässt sich festhalten, dass politische Bildung, besonders in ihrer Form als Prävention gegen Rechtsextremismus, ein sehr komplexes Vorhaben darstellt. Über die Praxis der politischen Bildung hinaus, stellt sich auch die wissenschaftliche Messung der Effektivität von politischer Bildung als schwierig dar. Der (eingeschränkten) Studienlage zufolge zeigt sich aber, dass politische Bildung in der Prävention gegen die Entwicklung von rechtsextremistischen Einstellungen durchaus einen Beitrag leisten kann. Die Grenzen von politischer Bildungsarbeit liegen allerdings beim Erzeugen von Einstellungsänderungen bei Personen, die bereits ein (größtenteils) geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben.
Literaturverzeichnis
Becker, H. (2011): Praxisforschung nutzen, politische Bildung weiterentwickeln. Studie zur Gewinnung und Nutzbarmachung von empirischen Erkenntnissen für die politische Bildung in Deutschland. Online verfügbar unter: https://www.adb.de/download/publikationen/01_Teil%201%20-%20Auswertungsbericht.pdf [Zugriff: 27.08.2023].
Biskamp, F. (2017): Im Zwischenraum von Repression und Anerkennung. Über Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen politischer Bildungsarbeit gegen Rechtsextremismus. In: Milbradt, B.; Albrecht, Y.; Kiepe, L. (Hg.): Ruck nach rechts? Rechtspopulismus, Rechtsextremismus und die Frage nach Gegenstrategien. Opladen: Verlag Barbara Budrich. S. 153–172.
Detjen, J. (2013): Politische Bildung. Geschichte und Gegenwart in Deutschland. München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag Verlag.
Fuchs-Heinritz, W. (2020): Bildung. In: Klimke, D.; Lautmann, R.; Stäheli, U. Weischer, C.; Wienold, H. (Hg.): Lexikon zur Soziologie. Wiesbaden: Springer Fachmedien. S. 99.
Lenz, C.; Ruchlak, N. (2001): Kleines Politik-Lexikon. Berlin: De Gruyter.
May, M.; Heinrich, G. (2020): Rechtsextremismus pädagogisch begegnen. Handlungswissen für die Schule. Stuttgart. Verlag W. Kohlhammer.
Tenorth, H.-E. (2013): Bildung. Zwischen Ideal und Wirklichkeit. Online verfügbar unter: bpb.de. https://www.bpb.de/themen/bildung/dossier-bildung/146201/bildung-zwischen-ideal-und-wirklichkeit/ [Zugriff: 27.08.2023]