Once upon a time…there was responsibility

Kunst und Unterhaltungsmedien, wie beispielsweise Filme, können bestimmte, aktuell gesellschaftlich relevante Problemstellungen behandeln – sie reproduzieren jedoch oftmals bereits Bekanntes, wie gesellschaftliche Stereotype, anstatt diese herauszufordern. Zum Beispiel waren im Jahr 2017 lediglich in 14 von 109 veröffentlichten Filmen LGBTQ-Repräsentationen vorzufinden. Damit kam es gleichzeitig zu einer Abnahme der Diversität von Repräsentation in der Filmindustrie (vgl. GLAAD 2018). Folglich nahm die Repräsentation geläufiger Stereotypen 2017 wieder zu. Durch diese anhaltende Reproduktion von Stereotypen können diese nur schwer überwunden werden; aber woran soll sich eine jüngere Generation orientieren, wenn sie keine positiven Vorbilder repräsentiert sieht? In einer Zeit universeller Vernetzung und schnelllebiger Kommunikation kann es schwerfallen, sich gegen diesen Gruppendruck zu stellen. Wenn auch in anderen Zusammenhängen, zeigten Zimbardo, Maslach und Haney (1999) sowie Milgram (1964) bereits, dass Gruppendruck Verhalten auslösen kann, das inkongruent zu der eigenen Identität steht, und dass  die Verantwortung für dieses Verhalten  anderen Personen zugeschrieben werden kann.

Zieht man die Analogie zur Filmkunst, werden die Schaffenden zur Autorität des jeweiligen Films. Demnach wären sie zunächst in der Verantwortung für den Film, den sie kreieren. Anderseits konsumieren die Zuschauer_innen diesen Film und befinden sich somit am rezeptiven Ende dessen Lebenszyklus. Daher könnte ebenso argumentiert werden, dass die Zuschauer_innen am Ende die Verantwortung dafür tragen, welche Interpretationen oder neue Verhaltensweisen sie einem Film entnehmen. Im Folgenden wird beispielhaft anhand von Quentin Tarantinos Once Upon a Time…In Hollywood (2019) die Frage diskutiert, welche Personengruppe, Schaffende_r oder Zuschauer_innen, die Verantwortung für die geschaffene Filmkunst tragen sollte.

Once upon a Time…In Hollywood (2019) ist Quentin Tarantinos neuester und neunter Film, da Kill Bill Vol. 1 (2003) und Vol. 2 (2004) als ein Film zu zählen sind. Once Upon a Time…In Hollywood begleitet einen Schauspieler, Rick Dalton, und seinen ehemaligen Stuntman und Freund, Cliff Booth, in Hollywood in den 1960er Jahren. Im Laufe des Films trifft Cliff Booth auf eine junge Frau, die ihn auf eine Ranch führt. Anhand der Namen der Charaktere und des Settings der Ranch lässt sich ableiten, dass es sich hierbei um die Anhänger_innen Charles Mansons handelt, sofern dem oder der Zuschauer_in Details über die damaligen, tatsächlichen Ereignisse bekannt sind (vgl. Chaney 2019). Charles Mansons Anhänger_innen versuchen später in Rick Daltons Nachbarhaus, in welchem die schwangere Sharon Tate lebt, einzubrechen, um diese zu töten. Sie verwechseln jedoch die Häuser und werden von Cliff Booth und Rick Dalton selbst „savagely beaten“ (Di Placido 2019). Die entsprechenden Szenen werden optisch sehr explizit, bis hin zu überzogen gewaltsam dargestellt. Im Gegensatz zu der Schwere der präsentierten Gewalt steht Sharon Tate, die das Bild einer fröhlichen, gut gelaunten und nahezu unschuldigen aufstrebenden Schauspielerin vermittelt (vgl. Di Placido 2019). Sie scheint nicht zu ahnen, was ihr ursprünglich zustoßen soll.

Eine mögliche Interpretation des Films beinhaltet Rick Dalton und Cliff Booth als typische sowie beliebte Hollywood-Helden, während Sharon Tate Hollywood selbst, oder aber die Zuschauer_innen repräsentiert. Obwohl die Helden Gewalt ausüben, ohne eine kritische Selbstreflexion folgen zu lassen, bleiben die Zuschauer_innen blind gegenüber der Implikation dieser Gewalt. Eine weitere mögliche Interpretation des Films ist, dass Tarantino selbst Hollywoods glorifizierte Gewalt kritisiert und aufzeigen möchte, was hinter den vermeintlichen Helden Hollywoods steht: „It could be argued that Tarantino’s violence […] is a more honest display than the bloodless punch-ups and murders we’re accustomed to on the screen,“ (Di Placido 2019).

Eine Einordnung, insbesondere der letzten Szenen, wird durch mangelndes Wissen um die zugrunde liegenden, tatsächlichen Ereignisse erschwert. Was bleibt, sind Gewalt ausübende Protagonisten, mit welchen sympathisiert werden soll. Die kritische Auseinandersetzung obliegt allein den Zuschauer_innen, da sie innerhalb des Films nicht erfolgt (vgl. Chaney 2019).  Der Film impliziert, dass die Gewalt aufgrund der eigentlichen Intention der Täter_innen gerechtfertigt sei: „[…] whether or not this is problematic is up to the viewer“ (Di Placido 2019). Darüber hinaus streitet Tarantino ab, das Drehbuch in Zusammenhang mit aktuellen, politischen Ereignissen in den U.S.A. geschrieben zu haben, wobei es kaum möglich erscheint, entsprechende Parallelen nicht zu sehen (vgl. Chaney 2019). Er überlässt es den Zuschauer_innen selbst, mit seiner Filmkunst das Richtige oder das Falsche anzustellen. Es wird vielmehr das Gegenteil einer kritischen Reflexion vermittelt: „The violence in this scene is played for laughs“ (Chaney 2019). Anstatt einer Hinterfragung gängiger Hollywood-Stereotype könnte ein Film wie Once Upon a Time…In Hollywood sowohl die Bilder eines heroischen Mannes, einer naiven jungen Frau und Frauen als Inkarnation des Bösen noch verstärken und bestätigen (vgl. Chaney 2019).

Folglich scheint Tarantino sich nicht dafür verantwortlich zu sehen, dass seine Gesellschafts- und Filmkritik auch als solche wahrgenommen wird. Gemäß Banduras Theorie zum Modelllernen (Bandura 2000) könnten Zuschauer_innen nun lernen, dass die porträtierte Gewalt erfolgreich eingesetzt wurde. In einer (potentiell) bedrohlichen Situation könnte auf ein ähnliches Verhalten zurückgegriffen werden, ähnlich der Kontroverse zu Gewalt darstellenden Videospielen. Anderson, Gentile und Buckley (2007) fanden Hinweise, dass ein gewaltsames Auftreten innerhalb der Spiele sowohl zur Steigerung von aggressivem Verhalten als auch der Minderung von prosozialem Verhalten führte.

Anhand des Beispiels Once Upon a Time…In Hollywood (2019) konnten mögliche Konsequenzen einer Verantwortungsabgabe des Regisseurs oder der Regisseurin an die Zuschauer_innen identifiziert werden. Als Regisseur und Drehbuchautor ist in diesem Fall Quentin Tarantino maßgeblich als Schaffender und somit als Verantwortlicher des Films zu sehen. Anstatt aber die Verantwortung zu übernehmen, wird diese an die Konsument_innen weitergereicht. Da dieser Film auch außerhalb der U.S.-amerikanischen Kultur Zuschauer_innen findet, erscheinen negative Folgen der Verantwortungsabgabe wahrscheinlich. Durch die Untermauerung der Hollywood-Stereotype durch Tarantinos fehlenden, letzten Schritt der Gesellschaftskritik, bleibt diese lediglich eine vage Vermutung, anstatt ein Anlass zum Nachdenken zu sein.  Potentielle Negativfolgen dessen reichen von der Reproduktion und damit Untermauerung von Stereotypen in der Gesellschaft bis hin zu einer gesteigerten Wahrscheinlichkeit von aggressivem oder gewaltsamem Verhalten. Dies sollte einem Regisseur mit der Reichweite Tarantinos bewusst sein.

Infolgedessen muss im Zuge eines verantwortungsvollen Handelns in der Filmkunst und -branche beachtet werden, dass die eigene Intention vermittelt wird, ohne die aktive Auseinandersetzung und Autonomie der Konsument_innen zu unterwandern. Im Rahmen dessen sollten sich insbesondere Regisseur_innen und Drehbuchautor_innen mit möglichen Konsequenzen einer konträren Interpretation seitens der Zuschauer_innen auseinandersetzen und deren bewusst sein. Möchte sich ein_e Regiesseur_in kritisch mit einem gesellschaftlich relevanten Thema auseinandersetzen, sollte dies auch tatsächlich erkennbar im Rahmen des Films passieren. Insbesondere glorifizierte (und übertriebene) Darstellungen ohne beispielsweise negative Konsequenzen für die Protagonist_innen könnten eher die Interpretation hervorrufen, dass das Glorifizierte auch zu dem von den Protagonist_innen gewünschten Erfolg führt. Wenn dies wiederum von den Zuschauer_innen bedenkenlos übernommen wird, werden gesellschaftlich relevante Themen nicht kritisch hinterfragt, sondern verfestigt. Daher ist es unabdingbar, dass die Verantwortung in der Filmkunst der Gesellschaft gegenüber auch von den Filmschaffenden selbst übernommen wird.


Quellen

Anderson, C. A.; Gentile, D. A.; Buckley, K. E. (2007): Violent Video Game Effects on Children and Adolescents: Theory, Research, and Public Policy. New York: Oxford University Press.

Bandura, A. (2000): Die sozial-kognitive Theorie der Massenkommunikation. In: Schorr, A. (Hg.): Publikums- und Wirkungsforschung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 441.

Blass, T. (1999): Obedience to Authority: Current Perspectives on the Milgram Paradigm. Mahwa, New Jersey: Psychology Press. 

Chaney, J. (2019): On the Troubling Subtext of Once Upon a Time in Hollywood. In: Vulture, 09.08.2019. Online verfügbar unter:  https://www.vulture.com/2019/08/once-upon-a-time-in-hollywood-and-its-troubling-subtext.html [Zugriff: 18.11.2019].

Di Placido, D. (2019): The Many Controversies Of ‘Once Upon A Time In Hollywood,’ Explained. In: Forbes, 23.08.2019. Online verfügbar unter: https://www.forbes.com/sites/danidiplacido/2019/08/23/the-many-controversies-of-once-upon-a-time-in-hollywood-broken-down/ [Zugriff: 18.11.2019].

GLAAD (2018): 2018 GLAAD Studio Responsibility Index. In: GLAAD. Online verfügbar unter: https://www.glaad.org/sri/2018 [Zugriff: 26.11.2019].

Milgram, S. (1964): Group pressure and action against a person. In: Journal of Abnormal Psychology. 69. Jg. 1964/02. S. 137–143.

Schorr, A. (2000): Publikums- und Wirkungsforschung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Tarantino, Q. (2019): Once Upon a Time…In Hollywood [Kino]. United States, United Kingdom: Columbia Pictures, Bona Film Group, Heyday Films, Visiona Romantica.

Zimbardo, P. G; Maslach, C.; Haney, C. (1999): Reflections on the Stanford Prison Experiment: Genesis, transformation and consequences. In: Blass, T. (Hg:), Obedience to Authority: Current Perspectives on the Milgram Paradigm. Mahwa, New Jersey: Psychology Press. 

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