Offenes Tagebuch

Liebes Tagebuch,

heute bin ich Lukas in die Arme gelaufen. Uff, die Gedanken an ihn lassen mich nicht los. Aufregend und unfassbar nervig. Fühle mich wie ein Teenie. Dominique würde mir jetzt bestimmt in den Hintern treten, damit ich Initiative ergreife. „Denn nur wenn wir fragen, können wir eine Antwort erhalten, positiv wie negativ.“ Bla bla. Wie ich mich schon anhöre. Stimmt aber.

Hätte Dominique mich nicht vor vier Jahren gefragt, ob ich mit ihr zusammen sein möchte, hätte ich die „Teenie-Monogamie“ vielleicht gar nicht kennengelernt.

Hätte ich Dominique nicht vor drei Jahren gefragt, ob wir unsere Beziehung öffnen wollen, wären wir nicht hier und jetzt in diesem wunderbaren Schlamassel. Dann hätten wir nicht mittlerweile beide eine weitere Beziehungsperson in unserem Leben, die auf der anderen Seite der Erde wohnt. Denen wir überwiegend online und in filmreifen Urlaubssituationen näherkommen durften, ha, wie zum Beispiel in Paris! Gleichzeitig hätte ich dann weder die Freiheit, neue Menschen zu daten noch diese Qual, die damit immer wieder aufs Neue einhergeht. Das Kribbeln beim ersten Flirten, das Warten auf die ersten Nachrichten, der erste Kuss. Wenn ich mich nicht ständig fragen würde, welche Liebesbeziehungen aus rein platonischen Bindungen mit Freund*innen noch so entstehen könnten, wäre mein Leben vermutlich sehr viel geplanter, vielleicht sogar gesicherter – aber auch weniger spannend, garantiert!

Liebes Tagebuch, denk nur mal daran, was wir erlebt haben, du und ich, wie vielen Menschen wir  nahegekommen sind, wie oft wir uns geöffnet haben, all over, again and again. Weißt du noch … Wie mit Carlos aus einer „du-bist-hier-im-Urlaub-und-wir-haben-nur-zwei-Tage“-Situation eine romantische „wir-werden-uns-wiedersehen-und-halten-uns-mit-Katzenmemes-und-Kochtipps-über-Wasser“-Verbindung entstanden ist. Geplant war das alles überhaupt nicht und dass ich plötzlich so eine intensive Verbindung zu einer neuen Person hatte, hat Dominiques und meine Beziehung auch echt auf die Probe gestellt. Zumal wir zuvor ausschließlich mit neuen körperlichen Erfahrungen einverstanden waren. Ich hätte es auch nie erwartet, aber du weißt, ich habe noch immer Kontakt zu Carlos!

Wie aus einer passionierten Tänzerinnenfreundschaft auf den ersten Blick mit Maria auf den zweiten Blick etwas mehr wurde, als Neugierde und Abenteuerlust überwogen. Während wir beide gezweifelt haben, ob es ein Schritt ist, den wir gemeinsam riskieren möchten oder ob wir lieber weiterhin den bekannten Pfad der Freundschaft beschreiten wollen.

Wie unfassbar traurige und herausfordernde Erlebnisse eine rein körperliche Bekanntschaft mit Max in einen intensiven Long-Distance-Austausch umgewandelt haben. Wie wir uns oft genug gefragt haben, direkt und indirekt, ob und wie es mit uns weitergehen wird. Es mir dann irgendwann zu viel wurde, ich schließlich Abstand gesucht habe und durch meinen ersten Breakup gegangen bin. Und ich aktuell nicht weiß, wie ich damit umgehen möchte.

Wie diese Beziehung zu Max fast parallel lief zu einer neuen Beziehung von Dominique mit Felice und wir uns alle untereinander kannten. Ay, das Kennenlernen von Felice war echt schmerzhaft für mich. Und hat mich völlig unvorbereitet getroffen. Im Endeffekt hat mit der Zeit die Zuneigung überwogen, die sich zu einer Art Quartett ausgeweitet hat. Das war eine ganz besondere Verbindung, wie eine kleine, selbst gegründete Familie … Bloß inklusive kitschigem Sonnenuntergangskuscheln und dem Austausch von ein paar Körperflüssigkeiten.

Überleg mal, liebes Tagebuch:

Wieviel Freiheit Dominique braucht.

Wie viel Sicherheit Max brauchte.

Wie Carlos mir oft sehr nah ist, trotz der Distanz.

Wie Maria manchmal noch mehr Aufmerksamkeit einfordert, trotz der schon bestehenden Nähe.

Ein Netzwerk aus sich liebenden Personen.

A

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