Kein richtiges Leben im falschen…
Wie können und sollen wir heutzutage zwischen Verschwendung und Verzicht konsumieren? Ist kritischer Konsum der Schlüssel zu einer nachhaltigen Zukunft? Nein – das Märchen vom ethischen Einkaufen ist von den grundsätzlichen Problemen ablenkender Unfug! Es klingt bloß so schön, weil es unser Gewissen beruhigt und uns die vielen eigentlich notwendigen Veränderungen vermeintlich einfach macht.
Dabei ist doch offensichtlich, wie begrenzt und widersprüchlich die tatsächliche Wirkung sowie Umsetzbarkeit solcher Maßnahmen ist. Klar, haben wir als Konsumentinnen und Konsumenten die Wahl aus einer immensen Breite an verschiedenen Waren, doch ist die Frage danach, ob man alles biologisch, unverpackt, fair gewebt und CO2-frei konsumiert letztlich keine Frage der Ethik, sondern eine Frage des Geldbeutels. Für alleinerziehende Hartz-IV-Empfangende oder mit einer verschwindend geringen Rente kämpfenden Senioren kann dadurch selbst der Bio-Apfel auf Dauer zu teuer werden. Eben jenen Menschen aber ihre Verantwortung als ethische Konsumenten zu predigen und sich dabei im schlimmsten Falle gar als besserer – weil durch höhere finanzielle Ausstattung ethisch konsumierender – Mensch zu fühlen, führt nicht nur zu mehr unnötiger sozialer Ausgrenzung, sondern ist auch einfach arrogant und zynisch.
Und selbst wenn man ethisch konsumieren möchte, kann man sich nie wirklich sicher sein über die tatsächlichen Herstellungsbedingungen massentauglicher Produkte. Vor allem bei den großen Konzernen sind soziale und ökologische Standards oftmals eine öffentlich vermeintlich verantwortungsbewusste Fassade, die in einem Schleier aus Scheinfirmen, Zwischenhändlern und sonstigen Winkelzügen verpufft. Denn im Kapitalismus geht es schließlich nur darum, aus Geld mehr Geld zu machen und dafür braucht man nicht die ethischsten, sondern billigsten Herstellungsbedingungen. Doch trotzdem hält sich hartnäckig der Glaube, dass in unserer Wirtschaftsweise nachfrageorientiert nur das produziert wird, was gewünscht wird. Dem ist aber nicht so! Sollte einmal keine Nachfrage bestehen, dann wird eben durch geschicktes Marketing und Werbung der entsprechende Konsumwunsch erzeugt – es geht nicht um wirkliche Bedürfnisse, sondern um Profit! Und solange diesem zunehmend ausufernden System nicht Einhalt geboten werden kann, ist jegliche Hoffnung auf eine bessere Zukunft vergebens.
Wir müssen die im Kern unserer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Struktur liegenden Probleme angehen! Die ethischen und nachhaltigen Herstellungsbedingungen müssen ordnungspolitisch und kollektiv bindend etabliert werden. Man kann diese Aufgabe nicht einfach entpolitisierend ins Private der konsumierenden Masse schieben, in der Hoffnung, dass die unsichtbare Hand des Marktes schon alles richten wird. Es ist nötig, die heutigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sowie die Eigentums- und Machtverhältnisse grundlegend zu verändern! Beim heutigen derart ungleich verteilten Wohlstand geht die tatsächliche Verschwendungssucht nicht vom durchschnittlichen Büro- oder Fabrikarbeiter aus, sondern von der milliardenschweren Klasse der Besitzenden und ihrem heillosen Luxus. Das durch deren Profitgier nach vorne gepeitschte Wirtschaftswachstum wird auf lange Sicht den sozialen Frieden und unsere gesamte Umwelt zugrunde richten.
Diese Missstände zu lösen, bedarf politischer Lösungen! Es bringt nichts, uns ins Private zurückzuziehen und die Lösung bloß über unseren Konsum zu suchen – die Widersprüche werden uns doch immer wieder einholen: Was bringt es, regelmäßig dieselfrei in die Innenstadt zu radeln, sich aber genauso guten Gewissens halbjährlich unzählige Flugkilometer für den Urlaub auf der Südhalbkugel zu gönnen? Was bringt Veganismus, wenn die zunehmende Soja- oder Avocadonachfrage den Markt insofern beeinflusst, dass Lateinamerika immer weiter abgeholzt und ausgetrocknet wird? Was nützt ein zum bloßen Markenimage reduzierter und für das grüne Gewissen oberflächlich konsumierbarer Nachhaltigkeitsbegriff? Für wirkliche Nachhaltigkeit müssen wir die grundlegenden Rahmenbedingungen verändern. Es gibt kein richtiges Leben im falschen.
…Tu trotzdem das Richtige!
Wie können und sollen wir heutzutage zwischen Verschwendung und Verzicht konsumieren? Ist kritischer Konsum der Schlüssel zu einer nachhaltigen Zukunft? Ja – unser Wohlstand ist eng mit den heutigen globalen Missständen verwoben und wir alle können durch unser Konsumverhalten einen kleinen aber entscheidenden Beitrag für den nötigen Wandel leisten, indem wir uns in Genügsamkeit und Verantwortung üben.
Angesichts der fortschreitenden Zerstörung unserer Umwelt und der zunehmenden globalen Ungerechtigkeit dürfen wir die Augen nicht davor verschließen, dass diese Probleme zu großen Teilen von den Strukturen verursacht werden, die unseren Wohlstand generieren und sicherstellen. Doch wir können diese Strukturen auch als Konsumenten und Konsumentinnen beeinflussen. Jeder Einkauf hat einen politischen Wert und kann ein kleines bisschen zu einer erhöhten Nachfrage nach fairen Herstellungsbedingungen und verbindlichen Richtlinien für Produkte beitragen. Die fair gehandelte Kleidung oder der Bio-Apfel werden die Welt zwar nicht von heute auf morgen retten, aber langfristig können wir durch unsere Konsumentscheidungen Druck auf Unternehmen und Politik ausüben. Die Macht als einzelner Konsument mag sich dabei zwar gering anfühlen, aber verbündet mit anderen kann sie einiges bewirken. Genau deshalb sollten wir alle das kleine bisschen Macht nutzen! Das ist das Prinzip Verantwortung: Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden!
Man kann diese individuelle Verantwortung nicht einfach ignorieren oder von sich weisen und vollständig auf die Politik oder die kapitalistischen Strukturen abwälzen – Politik allein reicht nicht! Es wird beispielsweise keine Agrarwende geben, solange Otto Normalverbraucher weiterhin möglichst günstig unzählige Kilo Fleisch verzehren will. Und selbst wenn die Politik – „die da oben“ – plötzlich sämtliche nachhaltigen Rahmenbedingungen verordnen würde: Es würde unsere Lebensstile nicht unberührt lassen und eine Veränderung eben jener nicht überflüssig machen. Die Frage, ob und wie sehr wir bereit sind, uns einzuschränken, werden wir nicht ohne Weiteres einfach beiseiteschieben können. Und wer beim Gedanken sich einschränken zu müssen völlig erschaudert und um seinen Wohlstand bangt, sollte sich mal bewusst vor Augen führen, wie maßlos dieser Wohlstand – dieser Überfluss – doch zu weiten Teilen ist und wie lange dieser wohl von Bestand sein mag, wenn die derzeitige Umweltzerstörung und globale Ungleichheit sich weiter so zuspitzt wie bisher. Nicht die Abschaffung unseres Wohlstandes, sondern ein langfristig gutes Leben für alle ohne Nebenwirkungen ist das Ziel!
Doch ethisch zu konsumieren ist ein anstrengender Weg. Sich umzugewöhnen ist unbequem und immer alles „richtig“ zu machen, geht kaum. Aber das ist auch gar nicht so schlimm. Es hilft niemandem, sich darauf auszuruhen, die Unmöglichkeit eines richtigen Lebens im falschen zu predigen. Die zwangsläufig aufkommenden Widersprüche sind in Ordnung. Denn ethisch zu konsumieren ist ein sich stetig entwickelnder Prozess und kein starres Korsett, in das man sich beim ersten Versuch sofort und ausnahmslos und für immer pressen muss. Niemand ist perfekt. Es ist wichtig, dass wir trotzdem den Mut haben, uns kritisch mit unseren eigenen Entscheidungen auseinanderzusetzen, zu reflektieren wie bewusstes Verhalten und unsere Gewohnheiten zusammenpassen können. Auf diese hinter unseren Konsumentscheidungen stehende Haltung, die die eigenen Bedürfnisse reflektierend Verzicht üben kann und ein Gespür für den ökologischen und sozialen Preis hinter verschiedensten Produkten hat, kommt es letztendlich an.
Die Missstände dieser Welt zu beheben, bedarf vor allem der Arbeit an uns selbst. Klar, kann es schwerfallen beim Anblick der festgefahren wirkenden kapitalistischen Gesellschaftsstrukturen die Hoffnung nicht zu verlieren, aber gab es im Laufe der Menschheitsgeschichte nicht schon immer Keime des Neuen im Alten? Was auch immer nach dem Kapitalismus kommen mag, wir müssen es heute schon vorleben. Sonst könnte das Danach nie kommen. Irgendwo muss es anfangen. Sei du selbst die Veränderung, die du in der Welt sehen willst.