Ist das Sprache oder kann das weg?

Steuerzahler, Steuer, Steueroase, Steuerflucht, Steuerschlupfloch, Steuerlast, Umverteilung, Leistungsträger, soziales Netz, Arbeitgeber, Schwangerschaftsabbruch, Islamophobie, Flüchtlingsstrom, erneuerbare Energien. Mit diesen und zahlreichen weiteren Begriffen werden wir täglich konfrontiert – in der Zeitung, in den sozialen Medien oder im Radio.

Sprache kann man als eine Kunstfertigkeit betrachten: Mit ihr geben wir dem, was wir sehen, einen Namen; sie ermöglicht uns, zu teilen, was wir wahrnehmen. Mit Sprache kreiert man in gewisser Weise Realität. Worte, die wir benutzen, haben eine bestimmte Bedeutung und rufen deshalb Konnotationen in unseren Köpfen hervor. Deshalb bestimmt sie, wie wir unsere Umgebung und andere Menschen wahrnehmen. Sprache bestimmt also maßgeblich unser Denken und Handeln. Der Mensch begreift Worte, indem das Gehirn körperliche Vorgänge wie Gefühle, Wahrnehmung, Gerüche, Geschmäcker etc. abruft, die mit den jeweiligen Wörtern assoziiert sind.

Wörter und Sätze habe eine wesentlich größere Bedeutung, als auf den ersten Blick erkennbar ist. Wenn wir Worte und Ideen begreifen wollen, aktiviert das Gehirn einen Deutungsrahmen, der in der kognitiven Wissenschaft Frame genannt wird. Inhalt und Struktur eines Frames, also unsere Erfahrungen mit der Welt, bestimmen die jeweilige Frame-Semantik. Unsere Sprache lässt sich in direkte Handlungen überführen. Es ist nicht weit hergeholt, zu behaupten, dass wir nach Worten denken und handeln, denn die Sprache, die wir hören, aktiviert bestimmte Frames in unseren Köpfen, durch die wir erst aktiv werden. Frames aktivieren sogar eine kognitive Simulation von Dingen wie etwa Bilder, Geräusche, Gerüche und Bewegungen. Weil jedes Wort Frames aktiviert, entstehen beim Rezipieren eines Wortes viele Ideen, die aus unserer Erfahrung mit der Welt geformt sind. Deshalb nehmen Frames einen maßgeblichen Einfluss auf unsere Wahrnehmung und demnach auch auf das, was wir zu wissen glauben. Nur, wenn ein Fakt in einen aktivierten Frame passt, kann er ohne weitere Schwierigkeiten in das Bewusstsein aufgenommen werden.  Nicht zuletzt nehmen diese aktiven Frames direkten Einfluss auf unser Handeln. (vgl. Wehling 2016: 41).

Um Framing im politischen Kontext verstehen zu können, müssen zunächst die Eigenschaften von Frames erläutert werden. Mit Framing verbinden wir viele verschiedene Ideen und Bedeutungen von bestimmten Worten und damit auch von verschiedenen Sachverhalten. Frames in der Politik könnte man nach der Kognitionswissenschaftlerin Elisabeth Wehling (2016) als „in aller Regel ideologisch und selektiv […]“ (ebd.: 42) bezeichnen:

„Sie heben bestimmte Gedanken hervor und lassen andere gedanklich unter den Tisch fallen. Das ist ein Problem für die Politik und eine Herausforderung für jeden Bürger, denn kein Frame stellt eine objektive und allumfassende Abbildung politischer Fakten und ihrer Deutung dar.“

Eine weitere Notwendigkeit der ausführlichen Erläuterung von Frames entspringt der Tatsache, dass Menschen nicht, wie wir glauben, aufgrund von Faktenlagen, sondern aufgrund von Frames ihre sozialen, politischen und ökonomischen Entscheidungen treffen (Wehling 2016: 45). Lediglich rund zwei Prozent unseres Denkens sind tatsächlich bewusste Vorgänge (ebd.). Darüber hinaus ist es notwendig, sich des selektiven Charakters von Frames zu nähern. Frames heben hervor, „indem sie ihnen eine kognitive Bühne bereiten und blenden andere Gegebenheiten aus, indem sie ihnen keine Rolle zuweisen, dass auf diese Bühne gespielt wird.“ (ebd.: 28)

Doch wie kann Sprache manipuliert werden und wie manipuliert Sprache selbst? Und was bedeutet dies wiederum für politisches Denken und Handeln?

Eine Antwort auf diese Frage finden wir zum Beispiel bei dem Begriff Steuerlast. Hiermit werden bestimmte Attribute assoziiert und dem Wort wird eine ideologische Prägung zugeschrieben. Für viele Bürger sind Steuern eine Last, der Staat saugt den Bürger, zugespitzt formuliert, aus. Mit dieser Interpretation von Steuern werden wir kontinuierlich konfrontiert, wie aus verschiedenen Artikeln diverser Tageszeitungen ersichtlich wird. Beispielsweise der Titel der Zeitung Welt: „OECD-Studie: Deutschland bei Steuerlast auf Rang drei“ oder: „Nichts ist ungerechter als die Steuerlast“ SPIEGEL ONLINE vom 12.04.2016; oder aus der Süddeutschen: „Kalte Progression – So steigt die Steuerlast der Deutschen“ von Guido Bohsem. Wenn man nun das Wort „Steuern“ mit Verben verbindet, die ebenfalls bedeutungstragend sind, kann man das Wort in einen neuen Frame bringen. Zum Beispiel in Verbindung mit dem Verb zahlen: Es deutet darauf hin, dass der Bürger eine Art Kunde des Staates, also ein Dienstleister ist. Wenn man nun aber über Steuer spricht und die soziale Funktion des Wortes beleuchten wollte, würde man sich anderer Verben bedienen wie zum Beispiel beitragen, beisteuern, beteiligen. Diese Verben bringen die Sprecher in einen Frame, der soziales Handeln und soziales Miteinander impliziert (vgl. Wehling 2016: 84).

All diese Aussagen liefern die moralische Interpretation, dass Steuern als Last zu sehen sind. Mit der Metapher Steuerlast kreiert man eine erfahrbare physische Last. Steuern werden negativ konnotiert. Wenn man nun von Steuerbefreiung spricht, kann dieses Wort in einem neuen Frame positiv erfahren werden (vgl. Wehling 2016: 85). Die Wahl der Worte ist ausschlaggebend für die Wahrnehmung des Rezipienten. Bisher konnten wir Bürger als Nutzer, Steuern als Last und den Staat als Dienstleistungsunternehmen wahrnehmen. Eine andere Metapher ist die Steuerfalle. Der Begriff Steuerfalle ist ebenfalls in jeglichen Medien zu finden und ist ein weiteres Beispiel dafür, dass man mit einer bestimmten Wortwahl zum Ausdruck bringen möchte, dass Steuern den Bürger gefangen halten, ihn einengen und seiner Bewegungsfreiheit berauben (vgl. Wehling 2016: 93). Ein Frame, den man aus der Steuerfalle ableiten kann, ist die Steuerflucht. Was versteht man unter politischer Flucht? Der Frame der politischen Flucht umfasst verschiedene semantische Rollen. In der Regel gibt es eine politische Übermacht, der die geflüchtete Person wehrlos gegenübersieht. Es gibt ein Fluchtziel, einen Ort nämlich, der sicher ist und an dem der Geflüchtete Asyl findet. Wenn man die Rollen in diesem Frame nun metaphorisch besetzt, werden demokratisch beschlossene Steuergrenzen zur politischen Übermacht, die einer gesellschaftlichen Minderheit – zum Beispiel „den besonders vermögenden Mitbürgern oder den oberen Zehntausend“ – etwas Böses will. Derjenige, der sich diesen Gesetzen entzieht, wird zum Steuerflüchtling. Orte mit niedriger Besteuerung werden zum Steuerasyl (Wehling 2016: 94). Diese Interpretation wird in verschieden Debatten genauso benannt. Der Frame Steuerasyl ist sehr auffällig, da er Steuern nicht nur als Bedrohung sieht, er beinhaltet auch Schlussfolgerungen über die Art der Bedrohung. Asyl wird Geflüchteten gewährt, die in ihrem eigenen Staat verfolgt werden und deren Menschenrechte durch Handlungen wie Freiheitsberaubung, Folter und Tötung beraubt werden. Sie können nicht in ein anderes Land gehen, weil sie in ihrem Heimatland nicht genug erwirtschaften konnten oder es ihnen zu Hause nicht gefallen hat. Das Gewährleisten von Steuerasyl wird innerhalb dieses Frames zur menschlichen Pflicht (vgl. Wehling 2016: 95).

Ein weiteres Beispiel, um politisches Framing in unserem Alltag darzulegen, ist das Thema Islam in Deutschland. Insbesondere folgender Frage geht Wehling diesbezüglich auf den Grund: In welchem Maße sind abwertende Einstellungen dem Islam gegenüber – auch unbewusst – durch unseren Sprachgebrauch bedingt? (vgl. Wehling 2016: 155) Einer der bekanntesten Bezeichnungen für diesen Diskurs ist die Islamophobie. Der Begriff Islamophobie wurde erstmals in den 1990er Jahren linkspolitischen Think Tank Runnymede Trust in England geprägt (Runnymede Trust 1994, 1997; Wehling 2016: 155). Heute ist der Begriff in vielen Diskursen zu finden. Besonders nach dem Attentat in Paris am 15. November 2015 wurde dieser in jeglichen Medien etabliert und gewann so auch linguistisch an Bedeutung, da er in mehr und mehr grammatikalischen Formen verwendet wurde. Diese sprachliche Flexibilität sei Wehling zufolge ein Zeichen dafür, dass sich der Frame Islamophobie in unserer Gesellschaft etabliert habe (Wehling 2016: 157). Die Phobie aktiviert den Frame von Furcht. Semantischer Rollenverteilung zufolge sind Phobie-Patienten Opfer der Angststörung, an der sie leiden. Demnach sind Muslime die Angstauslöser oder diejenigen, die man meidet. Wer also an solch einer Phobie leidet, reagiert panisch und wenig zurechnungsfähig, was dazu führt, dass die unter der Phobie leidende Person keine Verantwortung für ihr Handeln trägt. Demnach passiert laut Wehling aufgrund der üblichen Verwendung des Konzepts Phobie Folgendes: „Eine gegen den Islam – und damit gegen die Muslime – gerichtete Haltung wird bagatellisiert und ein Stück weit legitimiert als der Natur des Auslösers geschuldet, hier der Natur der Muslime.“ (Wehling 2016: 157). Der Frame blendet Aspekte wie Herabwürdigungen, Ausgrenzung, Übergriffe und andere Formen sozialer und zwischenmenschlicher Aggression aus. Außerdem blendet er die Tatsache aus, dass weder „anti-muslimische Haltungen noch Verhaltensmuster aus einem Affekt heraus geschehen und nicht zuletzt den Umstand, dass Muslime nicht essentiell angsteinflößend und damit schuldhafter Auslöser einer Angstreaktion sind. Wehling betont, dass Der Begriff Islamophobie gefährlich sei, da er sich als klinische Angststörung ausgebe, aber tatsächlich islamfeindliches Denken sei und dieses sich nicht im Affekt vollziehe (vgl. ebd.: 159).

Auch andere Debatten sind von Frames beeinflusst und geprägt, wie zum Beispiel das Thema Schwangerschaftsabbruch. Dieser wird in vielen Auseinandersetzungen mit Hilfe verschiedenster Frames als unmoralisch begreifbar gemacht: Ungewollte, ungeplante, unerwünschte Schwangerschaft. Drei Begriffe, die oftmals als Synonyme verwendet werden. Dabei bieten sie ganz unterschiedliche Schlussfolgerungen: ungewollt und ungeplant implizieren, dass die Schwangerschaft nicht gezielt hervorgerufen wurde. Spricht man hingegen von einer unerwünschten Schwangerschaft, so wird ein Frame aktiviert, der das zukünftige Kind bewertet. Wenn sich das Wort unerwünscht auf eine Person bezieht, bedeutet das meist, dass diese Person nicht willkommen ist (vgl. Wehling 2016: 143). So auch bei dem Begriff Schwangerschaftsabbruch. Zunächst sollte man erwähnen, dass dieses Wort impliziert, dass es sich bei der Schwangerschaft um einen Prozess handelt, der bis zum Ende zu durchlaufen ist. Anhand dessen geht mit dem Begriff Schwangerschaftsabbruch einher, dass die Entscheidung des Abbruchs ein Versagen ist. Wie etwa ein Schulabbruch oder eine abgebrochene Mission (ebd.: 148). Der Begriff Schwangerschaftsabbruch unterstellt also, dass die Person, die sich gegen die Schwangerschaft entschieden hat, gescheitert ist.

Frames haben einen selektiven, ideologischen Charakter. Sie bewerten politische und gesellschaftliche Ereignisse und Zustände aus einer bestimmten Perspektive heraus. Sobald sie einmal in unseren Köpfen aktiviert wurden, bestimmen sie – ohne dass wir es merken –  unser politisches, sozial ökonomisches, gesellschaftliches Denken und Handeln. Wer also in einer politischen Debatte Stellung nehmen und seine eigenen politischen Positionen erläutern möchte, sollte sich Frames bedienen, die der eigenen Weltsicht entsprechen. Da es bei der Bedeutungsvielfalt unserer Sprache nicht so einfach ist, die „richtigen“ Worte zu finden, sollte die Bedeutung der jeweiligen ausgewählten Wörter reflektiert werden und welche Aussage damit einhergehen kann. Wichtig ist auch, sich ins Bewusstsein zu rufen, dass es sich bei Frames um durch Sozialisation geformte Wissensbestände oder Denkmuster handelt. Wenn wir also meinen, etwas zu wissen, leiten wir das von unserer Wahrnehmung und Sinnerzeugung ab.

Quellen

Wehling, E. (2016): Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einbildet – und daraus Politik macht. Köln: Halem.

Weick, K. E. (1995): Sensemaking in Organizations. Thousand Oaks.

Trust, R. (1997): Islamophobia, a challenge for us all: Report of the Runnymede Trust Commission on British Muslims and Islamophobia. London.

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