Hommage an die Freiheit

Die Sehnsucht nach Freiheit wohnt uns allen inne. In Kunst, Literatur und Musik ist die Sehnsucht nach der Freiheit ein wiederkehrendes und prägendes Motiv.

Wenn der einsame Wanderer den Blick gen Nebelmeer richtet, die Friedenstaube mit Olivenzweig im Schnabel ihre Flügel auffächert oder die Freiheit personalisiert als über Leichen gehende entblößte Frau eine Flagge hisst, begegnen uns einige der prägendsten künstlerischen Interpretationen der Sehnsucht nach Freiheit. In der Romantik gelten angesichts der voranschreitenden Industrialisierung und politischen Unruhen das eigene Innenleben und die Natur als Sehnsuchtsorte der Freiheitssuchenden. Für Caspar David Friedrich (1774–1840) sind es die überwältigenden Naturszenerien der Rügener Kreidefelsen oder die zerklüftete Felsenlandschaft der sächsischen Schweiz, die er zum Mittelpunkt seiner Malerei macht und seine Figuren bewandern lässt. In zahlreichen seiner Gemälde ist der Mensch uns abgewendet abgebildet, meist melancholisch blickt er in die Ferne, bestaunt die Szenerie und lädt uns, die Betrachter_innen, ein, es ihm gleich zu tun. Während sich Friedrichs romantische Gemälde nach Freiheit im Privaten sehnen, sehnt sich Eugene Delacroix’ (1798–1863) romantisches Gemälde „Die Freiheit führt das Volk“ (1830) nach politischer Freiheit. Hier sehen wir die allegorische Figur der Freiheit personifiziert als entblößte Frau, die die Trikolore und ein Bajonett emporstreckend, ihre Mitstreiter anführt, sich gegen Kirche und Adel zu behaupten. Ihr Haar bedeckt die phrygische Mütze – in der Antike Symbol befreiter Sklaven, heute Symbol der Französischen Revolution. Sie verkörpert die Sehnsucht nach Freiheit und den Kampf der einfachen Bürger_innen für die Freiheit. Zugleich verkörpert sie den Tatendrang und die Energie, die mit einer Revolution einhergehen. Ebenso politisch erweist sich Pablo Picassos (1881–1973) Friedenstaube, ein biblisches Motiv, welches er für den Weltfriedenskongress 1949 als Lithografie entwarf. Seitdem gilt die Friedenstaube weltweit als Symbol für den Frieden und die Friedensbewegung. Frieden geht bei ihm einher mit Freiheit, Gleichheit sowie der Ablehnung von Gewalt und Terror. Picassos und Delacroix’ Werke verstehen sich im Sinne Peter Weiss’ als „Ästhetik des Widerstands“ (1975). In ihnen manifestiert sich die widerständige und emanzipatorische Kraft der Kunst, die sich gegen Unterdrückung und Faschismus auflehnt und für die Freiheit stark macht.

Neben der künstlerischen birgt auch die literarische Welt Myriaden fiktive und weniger fiktive Welten, die dem Gefühl der Unfreiheit und der Sehnsucht nach Freiheit einen Ausdruck verleihen. Es sind teils subjektive und private, teils öffentliche und politische Emanzipationen und Freiheitskämpfe, die sich mal im Kleinen und mal im Großen abspielen.

 

So demonstriert Virginia Woolf (1882–1941) in „Ein Zimmer für sich allein“ die Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet vier Wände und eine geschlossene Tür das Befreiendste auf der Welt sein können. Denn, um intellektuell frei zu sein, braucht man auch finanzielle und emotionale Unabhängigkeit. In ihrer wunderbaren und umfassenden Betrachtung dessen, was es braucht, um eine Schriftstellerin und eine Frau zu sein, nimmt uns Virginia Woolf mit auf eine Reise durch Gärten, Bibliotheken und glänzende Elfenbeintürme und taucht uns ein in Biografien literarischer Figuren. Die brillante Verflechtung persönlicher Erfahrung, fantasievollem Gedankenspiel und politischer Klarheit wird für die jungen Frauen, die sie ansprach, ein Aufruf zum Handeln.
In George Orwells (1903–1950) „1984“ finden wir uns als Leser_innen in einer Welt wieder, in der Versammlungs-, Bewegungs- und sogar Gedankenfreiheit verboten sind. Mag diese Welt, in der solch grundlegende Freiheiten von der Regierung beschnitten werden, unvorstellbar für manche wirken, zeigen sich unzählige Parallelen zu vergangenen und bestehenden Lebensrealitäten vieler Menschen auf. Literatur eröffnet Weltentwürfe und bietet den Lesenden eine Projektionsfläche, an der sie ihre eigenen Einstellungen und Haltungen prüfen können. Folglich hat der Wert des Lesens nicht alleinig eine inhaltliche oder literarisch-ästhetische Dimension, sondern auch eine moralisch-ethische. Durch das Eintauchen in und Imaginieren von fiktiven Welten, dem Miterleben der Gefühle und Gedanken von Figuren wird der eigene Erfahrungshorizont erweitert und Empathie gefördert. Um ihr Verständnis von Literatur und dem Urteilen zwischen richtig und falsch zu beschreiben, greift die Philosophin Hannah Arendt (1906–1975) auf ein Zitat von Thomas Jefferson zurück:

the fictitious murder of Duncan by Macbeth‘ excites in us ‚as great a horror of villainy, as the real one of Henri IV‘ and a ‚lively and lasting sense of filial duty is more effectually impressed on a son or daughter by reading King Lear, than by all the dry volumes of ethics and divinity that ever were written.”‘

Schließlich gilt auch Musik als Medium des freien Geistes. Sie wird als universell menschlich betrachtet – eine Sprache, die jede_r versteht. Spirituals und Work Songs – die Musik versklavter Menschen in den USA aus denen später der Jazz und Blues hervorgingen – sind musikalische Ausdrucksformen, deren zentrale Elemente die Sehnsucht nach Freiheit, Gerechtigkeit und einem taktischen Kampf für eine bessere Zukunft sind. Spirituals sind „geschichtsbezogene Lieder, die vom Verbrechen am [S]chwarzen Leben erzählen; sie erzählen uns von einem Volk im Lande der Knechtschaft und von dem, was es tat, um beieinander zu bleiben und sich zur Wehr zu setzen“ (Cone 1973: 47).

Darüber hinaus ist auch der griechische Komponist und Politiker Mikis Theodorakis (1925–2021) ein prägendes Beispiel für die Relation von revolutionärer Kunst und politischer Freiheit. Ob im Widerstand gegen die Nazis, im griechischen Bürgerkrieg von 1946 bis 1949, in der Militärjunta oder als kommunistischer Regimegegner im Arbeits- und Straflager auf der Gefängnisinsel Makronissos inhaftiert und grausam gefoltert, seine Liebe zur Musik blieb ungebrochen. Theodorakis immenses Schaffen und Wirken war immer dem Kampf gegen Barbarei und Unterdrückung gewidmet. Nicht ohne Grund trägt seine Biografie den Titel „Mein Leben für die Freiheit“.

Ob wir nun im Louvre stehen und Delacroix’ „Die Freiheit führt das Volk“ betrachten, Virginia Woolfs „Ein Zimmer für sich allein“ lesen oder die nie resignierenden und hoffnungsvollen Spirituals versklavter Menschen hören, erleben und empfinden, wir was Sehnsucht nach Freiheit heißt. Kunst, Literatur und Musik verbinden uns über Jahrhunderte hinweg. Sie stellen Ereignisse und Menschen in ein Verhältnis zueinander und bilden ein Beziehungsgeflecht, in dem wir uns selbst verorten können. Durch künstlerische, literarische und musikalische Ausdrucksformen der Sehnsucht nach Freiheit lernen wir den Wert der Freiheit tiefer zu verstehen.

Literatur

Arendt, H. (2003): Responsibility and Judgement.
New York: Schocken Books.
Cone, J.H. (1973): Ich bin der Blues und mein Leben ist ein Spiritual. Eine Interpretation [S]chwarzer Lieder. München: Kaiser.

Bei der Recherche für diesen Kommentar habe ich Menschen nach ersten Assoziationen zu „Sehnsucht nach Freiheit in Kunst, Literatur und Musik“ befragt. Dabei ist mir aufs Neue vor Augen geführt worden, dass unser Blick auf die Künste überwiegend eurozentrisch und westlich geprägt ist.
Als interdisziplinäres Magazin ist es unser Anspruch, nicht nur in wissenschaftlicher Hinsicht interdisziplinär zu denken, sondern auch gesellschaftlich und kulturell. Die Autorin Elif Shafak schreibt in ihrem 2021 erschienenen Buch „How to Stay Sane in an Age of Division“:

„We must strive to become intellectual nomads, keep moving, keep learning, resist confining ourselves in any cultural or mental ghetto, and spend more time not in select centres but at the margins, which is where real change always comes from.”

Im Sinne dieses Gedankens laden wir euch ein, uns weitere (gern weniger bekannte) künstlerische, literarische und musikalische Ausdrucksformen der Sehnsucht nach Freiheit zu senden. Diese werden wir in unser Onlinemagazin aufnehmen und einen vielfältigen Katalog zusammenstellen. E-Mail an: info@philou.rwth-aachen.de

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