Früher wurde der minderwertige Plastikabfall nach China exportiert. So beschreibt es ein Mitarbeiter eines öffentlichen Entsorgungsbetriebs in Aachen, als er an einem kühlen Januarmorgen Anfang 2018 eine Studierendengruppe über das Gelände führt, denn wenige Wochen zuvor, am 1. Januar 2018, schloss China seine Grenzen für 24 Sorten von Abfällen (vgl. UNEP 2018).
Chinas Importverbot ist eines der seltenen Ereignisse, die auf internationaler Ebene Aufmerksamkeit erregten und damit die Praxis des Abfallexports in das Bewusstsein der Verbraucher_innen riefen, denn für diese endet der Weg des Abfalls meist an der Mülltonne. Das Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) beschreibt den Übergang von Abfällen von Endnutzer_innen auf die zuständigen privaten und öffentlichen Entsorger als „Entledigung“. Diese ist anzunehmen, „wenn der Besitzer Stoffe oder Gegenstände einer Verwertung […] oder einer Beseitigung […] zuführt oder die tatsächliche Sachherrschaft über sie unter Wegfall jeder weiteren Zweckbestimmung aufgibt.“ (§3 Abs. 2 KrWG).
Der Satz suggeriert eine Abgabe von Verantwortung für die produzierten Abfälle, eine Nicht-Beteiligung an jeglichen weiteren Schritten, die nötig sind, um den Abfall im Sinne des Gesetzes zu verwerten oder zu entsorgen. Nach dem Prinzip „aus den Augen, aus dem Sinn“ werde der Abfall, sobald er nicht mehr sichtbar ist, oft vergessen (vgl. Mauch 2016). Doch obwohl er für den/die Endnutzer_in ab dem Zeitpunkt der Entledigung unsichtbar sein mag, verschwindet der Abfall nicht, sondern taucht an anderer Stelle wieder auf. Jedoch ist dies häufig weitab von dem Blickfeld der Konsument_innen und auch außerhalb des Souveränitätsgebietes der Staaten, denn der Export von Abfällen und damit der Export der Verantwortung diese zu behandeln, ist seit Jahrzehnten eine gängige Praxis in Industrienationen (vgl. Clapp 2001; Ajibo 2016).
Auch der Importstopp Chinas konnte diese Praxis nicht beenden. Auf die Frage eines Studenten, was nun mit dem Abfall passiere, dessen Recycling in Deutschland nicht wirtschaftlich ist, antwortet der Mitarbeiter des Aachener Entsorgungsunternehmens nur knapp: „Pakistan“. Und auch andere Länder, wie Vietnam, Thailand und Malaysia übernahmen Chinas ehemalige Importmengen (vgl. Greenpeace South East Asia 2018).
Die Wege des Abfalls sind geprägt von unterschiedlicher Wertschätzung. Während er in Industrienationen primär als ästhetisches Übel aufgefasst wird, stellt Abfall für Entwicklungsländer in erster Linie eine wertvolle Einkommensquelle dar (vgl. Grant 2016).
Aufgrund der Ausnutzung dieser wirtschaftlichen Abhängigkeit der Nicht-OECD-Staaten etablierte sich in den 1980er Jahren der Ausdruck toxic colonialism. Der Kunstbegriff sollte auf internationaler Ebene auf die überproportionalen Risiken aufmerksam machen, die Entwicklungsländer durch den Import von gefährlichen Abfällen auf sich nehmen (vgl. Pratt 2011). Es wurde argumentiert, dass die Länder, obwohl sie nicht an der Entstehung der Abfälle beteiligt seien und keinen direkten Nutzen aus den produzierten Gütern zögen, die gesundheitlichen Konsequenzen und Umweltschäden trügen (vgl. Clapp 2001).
Die Basler Konvention aus dem Jahr 1989 stellte eine erste internationale Anerkennung der Problematik der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle dar. Ein Export gefährlicher Abfälle sollte nur noch erfolgen, wenn in dem eigenen Land keine Kapazitäten für eine umweltschonende und effiziente Behandlung des Abfalls bestanden oder wenn der Abfall im empfangenden Land als Rohstoff benötigt wurde. Bei einer grenzüberschreitenden Entsorgung mussten sowohl Export- als auch Empfängerland vorher zustimmen und jede Verbringung ohne vorheriges Übereinkommen unter Verfügbarkeit aller vorhandenen Informationen über den zu entsorgenden Abfall wurde als illegaler Handel betrachtet.
Trotzdem ist die grenzüberschreitende Abfallentsorgung zwischen OECD- und Nicht-OECD-Staaten auch 30 Jahre nach dem Erlass der Konvention gängige Praxis.
Es fehle eine globale Methode, um koordiniert den Handel mit gefährlichen Abfällen zu kontrollieren. Stattdessen berufe sich die Basler Konvention auf die Umsetzung der Bestimmungen durch die einzelnen Länder. Die in vielen Nicht-OECD-Ländern teilweise sehr geringen Kapazitäten, um nationale Regulierungen auch durchzusetzen, würden vielfach zur Verschleierung des Handels gefährlicher Abfallstoffe führen (vgl. Pratt 2011). Auch fehle es häufig an politischem Willen und öffentlicher Opposition, da keine angemessene Aufklärung über die entstehenden Gefahren durch den Import von gefährlichen Abfällen bzw. kein Zugang zur Justiz bestehe (vgl. Ajibo 2016). Um die Wirtschaft anzukurbeln, würden häufig die Regulierungen hinsichtlich gefährlichen Abfalls vernachlässigt und kurzzeitige Gewinne bevorzugt, ohne die langfristigen Konsequenzen für Gesundheit und Umwelt in Betracht zu ziehen (vgl. Pratt 2011).
Für Industrieländer stellt die grenzüberschreitende Verbringung von Abfällen insbesondere im Zusammenhang mit den zunehmenden Mengen an Elektroschrott und Plastikabfall weiterhin eine attraktive Lösung dar. Während in diesen Ländern durch zunehmend strenge Umweltvorschriften und lokalen Widerstand die Entsorgungskosten steigen, gibt es in Entwicklungsländern häufig keine strengen Regulierungen, zudem sind Arbeitskräfte und Land in der Regel günstig (vgl. Pratt 2011). Studien aus den 1980er und 1990er Jahren ergaben, dass die durchschnittlichen Entsorgungskosten einer Tonne gefährlicher Abfälle in Afrika bei US $2,50–$50 lagen, während diese in Industrieländern US $200–$3000 betrugen (vgl. Ajibo 2016).
Die gravierenden Folgen, die sich daraus für viele Entwicklungsländer ergeben, dringen nun auch in OECD-Staaten an die Öffentlichkeit. Oft fehle in Entwicklungsländern die Technologie, Ausbildung, Finanzierung und administrative Infrastruktur um den Abfall adäquat behandeln zu können (vgl. Pratt 2011). Häufig würden gefährliche Abfälle auf nicht als Mülldeponie geeigneten Flächen gelagert, Frauen und Kinder würden den Elektroschrott aus Deponien suchen und sich dabei den Dämpfen aussetzen, die durch die Verbrennung von Schwermetallen und Plastik entständen (vgl. Pratt 2011, Ajibo 2016). Auch hinsichtlich des Ressourcenpotentials des Elektroschrotts ist eine Rückgewinnung der verbauten Metalle unter diesen Bedingungen kritisch zu bewerten, da umweltverträgliche Methoden dazu führen könnten, dass weniger Ressourcen verbraucht würden (vgl. Pratt 2011).
Ein Greenpeace-Bericht aus dem Jahr 2018 schildert ähnliche Bedingungen in Malaysia bei der Entsorgung von international gehandelten Plastikabfällen, die nicht zu den gefährlichen Abfällen zählen. Der Abfall werde häufig nicht richtig behandelt, sondern in einer Weise deponiert oder verbrannt, die gegen internationale Absprachen verstoße. Bereits jetzt beständen gesundheitliche Beeinträchtigungen und Umweltschäden, die wahrscheinlich durch illegale Verbrennung und Deponierung von importierten Plastikabfällen hervorgerufen würden. So berichtet Greenpeace von einer Mülldeponie, von der aus Wasser in die nahegelegenen Teiche einer Krabbenzucht liefen und gegenüber nationalen Wasserqualitätsstandards erhöhten Mengen an Aluminium und Eisen im Kuala Langat Fluss (vgl. Greenpeace Southeast Asia 2018).
Berichte über die umweltschädliche Entsorgung von Abfällen oder Plastikmüll im Meer haben im Jahr 2019 zu zwei Meilensteinen im Bereich der Begrenzung der globalen Abfallverbringung geführt. Im Rahmen der Basler Konferenz vom 29. April bis 10. Mai 2019 wurde auch die Entsorgung von Plastikabfällen erstmals in einen internationalen Rechtsrahmen eingebunden, was laut UN Environmental Programme zu mehr Transparenz und Kontrolle im globalen Handel mit Plastikabfällen führe (vgl. UNEP 2019). Des Weiteren wird am 5. Dezember 2019 das Basel Ban Amendment umgesetzt (BRS Secreteriat 2019). Die Novelle sieht vor, dass sämtlicher Handel gefährlicher Abfallstoffe zwischen Industrie- und Entwicklungsländern verboten werde (vgl. Pratt 2011).
Die Auswirkungen und Effektivität der Novellen bleiben abzuwarten. Angesichts der bereits schwierigen Umsetzung der Basler Konvention in der ursprünglichen Form durch geringe nationale, administrative Kapazitäten (vgl. Pratt 2011), ist ein verstärkter illegaler Handel mit Abfällen sicherlich nicht auszuschließen. Auch wird das vollständige Verbot jeglicher Exporte gefährlicher Abfälle von Industriestaaten in Entwicklungsländer teilweise kritisiert, da so weniger Anreize für letztere existieren würden Recycling- und Rückgewinnungsmethoden umweltschonender zu gestalten (vgl. Pratt 2011).
Die neusten Regulierungen wirken insbesondere deshalb symbolisch, da sie auf der Selbstverpflichtung vieler Industrienationen basieren, Verantwortung für ihre Abfälle zu übernehmen. Das Exportverbot gefährlicher Abfälle werde als Distanzierung vom toxic waste colonialism begrüßt (vgl. Pratt 2011). Ob jedoch die ethische Verantwortung letztendlich jegliche wirtschaftlich attraktive Abfallexporte zum Erliegen bringt, ohne dass die Staaten auf internationaler Ebene kontrolliert werden, bleibt abzuwarten. Eine internationale Kontrollinstanz könnte sicherstellen, dass die Abfälle tatsächlich nicht mehr exportiert werden.
Chinas Importverbot hat exemplarisch gezeigt, welche Folgen es für die Industrienationen haben kann, wenn sie wieder Verantwortung für ihre Abfälle übernehmen müssen. Länder wie Indonesien und Malaysia, die anfangs noch bereitwillig Chinas Anteile global gehandelten Abfalls übernommen hatten, haben mittlerweile ihre Einfuhrbedingungen aufgrund fehlender Kapazitäten verschärft. Angesichts des kollabierenden globalen Recycling-Marktes sind viele Industrienationen nun dazu übergegangen, die zusätzlichen Plastikabfallmengen zu deponieren oder zu verbrennen – ein Unterfangen, das mit erheblichen Risiken für Umwelt und Gesundheit verbunden ist (Heinrich Böll Stiftung 2019). Die Hoffnung bleibt, dass so zumindest die Abfallproblematik wieder in das Blickfeld derer rücken wird, die sie als Einzige endgültig lösen könnten: die Endverbraucher_innen. Denn letztendlich sei die globale Abfallproblematik nur zu bewältigen, indem weniger Abfälle produziert werden würden (vgl. Pratt 2011; Greenpeace Southeast Asia 2018).
Quellen
Ajibo, K. I. (2016): Transboundary hazardous wastes and environmental justice. In: Environmental Law Review. 18 Jg. 2016/04. S. 267–283.
BRS Secreteriat (2019): Entry into force of amendment to UN treaty boosts efforts to prevent waste dumping. Online verfügbar unter: http://www.basel.int/Default.aspx?tabid=8120 [Zugriff: 14.11.2019].
Clapp, J. (2001): Toxic Exports: The Transfer of Hazardous Wastes from Rich to Poor Countries: Cornell University Press.
Grant, R. (2016): The „Urban Mine“ in Accra, Ghana. In: Christof Mauch (Hg.): Out of Sight, Out of Mind. The Politics and Culture of Waste. RCC Perspectives: Transformations in Environment and Society 2016, no. 1. S. 21–29.
Greenpeace Southeast Asia (2018): The Recycling Myth. In: Greenpeace, 27.11.2018. Online verfügbar unter: https://www.greenpeace.org/southeastasia/publication/549/the-recycling-myth/ [Zugriff: 07.12.2019].
Heinrich Böll Stiftung (2019): Plastic Atlas. Facts and figures about the world of synthetic polymers. Berlin: Heinrich Böll Stiftung.
Mauch, C. (2016): Introduction. In: Christof Mauch (Hg.): Out of Sight, Out of Mind. The Politics and Culture of Waste. RCC Perspectives: Transformations in Environment and Society 2016, no. 1. S. 5–9.
Pratt, L. A. (2011): Decreasing Dirty Dumping? A Reevaluation of Toxic Waste Colonialism and the Global Management of Transboundary Hazardous Waste. In: William & Mary Environmental Law and Policy Review 581. 35. Jg. 2011/02.
UNEP(2018): China’s trash ban lifts lid on global recycling woes but also offers opportunity. Online verfügbar unter: https://www.unenvironment.org/news-and-stories/story/chinas-trash-ban-lifts-lid-global-recycling-woes-also-offers-opportunity [Zugriff: 04.12.2019].
UNEP(2019): Governments agree landmark decisions to protect people and planet from hazardous chemicals and waste, including plastic waste. Online verfügbar unter: https://www.unenvironment.org/news-and-stories/press-release/governments-agree-landmark-decisions-protect-people-and-planet [Zugriff: 14.11.2019].