Das bekannteste Akronym der Aachener Region feiert Jubiläum. Die RWTH Aachen wird 150 Jahre alt. Unter dem Motto Lernen.Forschen.Machen blickt die größte deutsche Technische Universität gleichzeitig zurück und richtet den Blick in die Zukunft. Forschung und Lehre sollen als Eckpfeiler der Universität sichtbar, erfahrbar und machbar bleiben und gestaltet werden. „Im Mittelpunkt unseres Handelns steht der Mensch“ ist der erste verpflichtende Wert der Hochschule. Die Zukunft gestalten steht also im Dienste der Menschen. Wissenschaft betreiben, um die Menschheit voran zu bringen. „Nach vorne“ ist die Devise, denn die Zukunft lässt sich nicht aus der Vergangenheit erfinden.
Forschung und Fortschritt sind die Macher der Zukunft. Die Rolle der Wissenschaft dabei? Ein intelligenter Heilsbringer in kompostierbarer Leichtmetallrüstung mit einem Solar-Schild vielleicht? Oder wird die Zukunft wie in einem Laborexperiment erforscht? Gütekriterien der Messung? Check. Validität? Check. Im Feld aber nicht reproduzierbar, weil die Forschung unter eingeschränkten Rahmenbedingungen stattfindet. Forschung für den Menschen machen bedeutet den Kontext, in dem sie stattfindet, einzubeziehen. Nicht losgelöst technische Teildisziplinen anzutreiben, zu fördern und auszubauen, während die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen stillstehen. Die Tatsache, dass wiederkehrend die gleichen schrillen Töne von Nationalismus, Rassismus und die Instrumentalisierung von Feindbildern aufkeimen, lässt erahnen, dass zumindest ein Teil der Geschichte von Morgen vertraut ist. Der Teil, der nicht durch Technology Assessment und das Programmieren von interaktiven Design-Systemen Ressentiments beseitigt, sondern auf Ungleichheitserfahrungen und relativer Deprivation aufbaut. Auf Statusverlust, fehlende Vertrautheit oder Zugehörigkeit. Die innere Entfremdung zwischen dem was War, dem was Ist, und den Dingen, die noch Werden spiegelt sich an den Entwicklungstendenzen gesellschaftlichen Lebens. Unvereinbar und doch als Teil der Gesamtentwicklung erscheinen die Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz und der Datenübertragung, während uns sozio-strukturelle Probleme der Vergangenheit und Gegenwart weiter begleiten.
Die Uhr ist das epochenübergreifende Symbol für die Synchronisation der Zeit. Ein „gemeinsamer Nenner“, wenn man so will, eine allgemein verbindliche Orientierungshilfe, die für jeden gleich taktet und niemanden zurücklässt. Erneut ist eine Synchronisierung geboten und gefordert. Eine Aufforderung zur Synchronisation der gesellschaftlichen Entwicklung zwischen Technologien und sozialen Ideen sowie Ängsten, die sich in Ideologien niederlegen. Denn ein Einklang kann nicht gefunden werden, solange Herz und Verstand sich in unterschiedlichen Geschwindigkeiten entwickeln.
Wissenschaft will bewegen, aufklären und beschreibt ihren eigentlichen Zweck selbst: Wissenschaft schafft Wissen. Sie strebt danach, Krankheiten zu heilen, gigantische Datenmengen zu transportieren und Mensch (und Natur?) zu retten. Sie ist der Weg des Gilgamesch. Sie ist die Suche nach dem ewigen Leben. Sie ist teleologisch und ziellos zugleich. Angetrieben von der Sehnsucht des Menschen, sich als göttliche Rasse über die an Naturgesetze gebundenen Spezies zu erheben und gleichzeitig von Angst vor der Verantwortung(-slosigkeit). Harari konstatiert am Ende seines Buches Eine kurze Geschichte der Menschheit, dass die Zukunft von der Frage „Was wollen wir“ abhängt. Nicht „Was können wir“. Ein Plädoyer, die Grenzen des Machbaren nicht technisch, sondern ethisch abzustecken. Aber warum eigentlich? Die Definitionsmacht der Zukunft liegt in den Händen der technischen und medizinischen Forschung. Glauben Sie nicht? Dann geben Sie einmal die Schlagwörter Zukunft und Visionen in Ihre Lieblings-Suchmaschine ein. Legen Sie diesen Artikel beiseite und fragen Ihren Nächsten: „Was fällt Ihnen als Erstes bei dem Wort Zukunft ein?“ Autonomes Fahren, Nachhaltigkeit, Blockchain, Immuntherapie, Robotik und Kernfusion. Die Einseitigkeit futuristischer Vorstellungen unterstützt die Forderung nach einer Anpassung sozialen und technischen Fortschritts. Beispiele dafür liefert die Populärkultur. Egal wie entwickelt Technologien in der Science-Fiction Welt sind, soziale Missstände bestehen fort. Die dystopisch anmutende Serie Black Mirror, Hollywoodfilme wie In-Time, und Kultromane à la Brave New World halten an sozialen Klassen und der anti-individualistischen und anti-egalitären Wertigkeit des Lebens fest. Alles Beispiele, in denen Gesellschaften sich einseitig technologisch entwickeln, ohne dass inklusiv-soziale Visionen Schritt halten. Die Asymmetrie zwischen Technik und Gesellschaft wandelt die Rolle des Menschen vom Subjekt der Forschung zum Objekt, welches sich seinerseits anpassen muss.
Ein Gebiet, auf dem ein Ausgleich zwischen Sozialem und Technologie gesucht wird, ist soziale Innovation – die Grundidee, gesellschaftliche Herausforderungen durch ein offenes Innovationssystem anzugehen. Soziale Innovationen können durch neue Technik hervorgerufen werden (Wandel des Arbeitsmarktes durch Automatisierung), ergänzt werden (politische Partizipation durch Online-Plattformen), aber auch unabhängig von Technologien funktionieren (Elternzeit). Es sind Ideen, welche die gesellschaftliche Gestaltung der Zukunft kontextbezogen und an die Rahmenbedingungen an(ge)passt, entwerfen. In dieser Reihe sind sicherlich auch digitale Bildungsangebote und E-Learning zu nennen; zugängliche innovative Inhalte, die Bildungs- und Aufklärungsarbeit leisten und Ängsten vor Multikulturalität und Statusverlust entgegenwirken.
Zager und Evans’ In the Year 2525 zeichnet zu Beginn der Post-Moderne die Dystopie einer Zukunftsprognose, die einer über-technologisierten Lebenspraxis entspringt und mit dem Verlust der Erfahrungsfähigkeit des Menschen einhergeht. Eine Entfremdung zwischen technologischem Fortschritt und authentischer Menschlichkeit. Einer Menschlichkeit, die nur dann bewahrt wird, wenn Zukunft nicht spaltet, sondern zusammenführt. Das gilt auch für die Forschung und Wissenschaft. Das Zukunftskonzept RWTH 2020: Meeting Global Challenges hat den Anspruch, die großen Forschungsfragen unserer Zeit zu beantworten. Dafür steht der integrative und interdisziplinäre Ansatz der RWTH, der an Einrichtungen wie dem Human-Technology Center vorgelebt wird. Es bleibt die Aufgabe und Verantwortung der nächsten 150 Jahre RWTH, den Menschen als Mittelpunkt der Forschung und Wissenschaft in alle Forschungsdisziplinen zu integrieren, und die Gesellschaft durch soziale Innovationen mit in die Zukunft zu nehmen. Die Zukunft mag dem digitalen Kosmopoliten in einem digitalen Kapitalismus gehören. Doch auch das dynamischste System wird von Ideen getragen, die nicht losgelöst von Ideologien, Lebensgefühlen und Werten existieren. Eben weil es Menschen sind, die es tragen. Wir denken, die Zukunft ist technisch und digital. Die Zukunft ist aber auch Mensch, und dort stößt sie auf die größte Herausforderung.