Der Chaos Computer Club e.V. (CCC) ist ein Verein von Hackern in Deutschland. Gegründet in den 1980er Jahren als Austauschort für „Komputerfrieks“ erlangte er schnell Bekanntheit durch öffentlichkeitswirksame Hacks, bei denen auf Schwachstellen in Datensystemen aufmerksam gemacht wurde. In vielen Städten existieren außerdem lokale Ableger des CCC, die von diesem unabhängig handeln. Die philou. hat mit Carsten, einem langjährigen Mitglied beim CCC Aachen (CCCAC), über den Bezug von Chaos, Computern und Vereinsarbeit gesprochen.
Der Einzug von digitaler Informationsverarbeitung ins Alltagsleben unserer Gesellschaft hat eine Vielzahl von Möglichkeiten geschaffen. Der Umgang von Mensch mit Maschine und die schon als Eigenleben qualifizierbare Beweglichkeit von Daten bergen viele Chancen, erfordern aber auch spezielle Fähigkeiten und ein Bewusstsein für Risiken und Gefahren.
Auszug aus der Präambel der Satzung des CCCAC vom 17.12.2016
philou. Hallo Carsten, du bist Mitglied des Chaos Computer Club Aachen. Was ist das?
CCC. Der Chaos Computer Club Aachen ist die lokale Entität des Chaos Computer Clubs, den es deutschlandweit gibt. Und „lokale Entität“ ist ein Teil von unserer Organisationsstruktur: dass es ganz viel davon gibt, also in vielen Orten – hier in der Nähe wäre zum Beispiel auch in Köln und Düsseldorf ein Chaos Computer Club. Wir sind eigentlich unabhängig voneinander, also eigene Vereine, aber man macht doch Dinge miteinander, so wie uns gerade Lust und Laune dazu ist. Die Dinge, die wir machen, sind uns kreativ mit Technologie zu beschäftigen. In aller möglicher Art und Weise: Dass wir sie nutzen, reparieren und ganz wichtig: hinterfragen. Dass wir sie analysieren und dann auch darüber berichten und Wissen austauschen.
p. Und wofür steht aus deiner Sicht das „Chaos“ in „Chaos Computer Club“?
CCC. Ich habe diese Frage antizipiert und habe trotzdem keine Antwort darauf. Was in sich vielleicht auch eine Antwort ist. Das „Chaos“ sagt für mich so ein bisschen, dass es kein explizites Ziel und auch keinen vorgegebenen Weg gibt, bei dem was wir tun und wie wir es tun. Wir haben natürlich entsprechend des deutschen Vereinsrechts eine Vereinssatzung und in der sind auch Ziele definiert, aber wir gehen auch gerne mal Wege, die sonst keiner geht, oder die nicht so offensichtlich sind.
p. Das Chaos bezieht sich also in erster Linie auf eure Organisation und nicht auf eure Projekte?
CCC. Ich denke, so kann man das nicht sagen. Wir haben gar nicht so eine sonderlich gute Organisation, einfach weil wir die auch nicht brauchen. Es organisiert sich schon alles ein bisschen selbst. Da kann man natürlich sagen: Dann ist das doch alles Chaos. Und zu einem gewissen Teil stimmt das auch und manchmal funktionieren Dinge nicht. Aber man überlässt das halt einfach ein bisschen sich selbst. Und auch die Projekte, die wir tun, das sind die, die einem vor die Füße fallen. Man sieht irgendwas und beschließt, das zu tun und guckt mal, wer Lust hat, mitzumachen.
p. Siehst du dieses Konzept auch als Möglichkeit für andere Organisationen? Ist das etwas, das nur unter bestimmten Umständen funktionieren kann bzw. nur zu euch gut passt?
CCC. Nein, ich glaube nicht, dass das Konzept nur auf den Chaos Computer Club passt. Wir haben den Luxus, nicht alles perfekt organisieren zu müssen, denn es ist, nüchtern betrachtet, nur ein Hobby. Da ist es nicht so wichtig, alles Top-Down zu regeln mit exakten Prozessen. Aber ich glaube auch, dass das in anderen Settings teilweise funktioniert. Dass man nicht alles bis zum letzten Ende durchplant, sondern einfach mal macht. Das kommt auch auf die Anforderungen an und was andere Leute von den Handelnden wollen: Da muss man dann entsprechend agieren. Ich denke im Hobby- und Freizeitbereich geht das mit Sicherheit sehr gut. Bei Unternehmen potenziell auch. Das hängt dann hauptsächlich damit zusammen, ob Leute hinten dran sitzen, die ein Auge auf das Controlling werfen und sagen: Wir müssen unbedingt alles genau bei den Kosten im Blick haben. Dann wird das natürlich schwierig. Aber in kleinen Bereichen wird das auch schon entsprechend gelebt in Unternehmen. „Agil“ ist hier das Stichwort und das beschreibt auch eine gewisse Selbstorganisation in Teams, die teilweise sehr chaotisch laufen kann.
p. Was muss man denn mitbringen, um bei euch mitmachen zu können? Braucht man eine chaotische Veranlagung?
CCC. Nein, eigentlich muss man gar nichts mitbringen außer Motivation beziehungsweise Interesse. Wir sind ein Erfahrungsaustauschkreis – so heißt das offiziell – und wenn du etwas lernen oder weitergeben möchtest, bist du bei uns willkommen. Das liegt natürlich hauptsächlich im technischen Umfeld, in dem wir uns bewegen, also bzgl. Software und Hardware, aber auch nicht exklusiv.
p. An was für einem Projekt arbeitest du denn aktuell?
CCC. An ganz vielen – wie immer.
p. Welches ist denn das Chaotischste?
CCC. Ich glaube tatsächlich, dass ich kein Mensch bin, der besonders chaotisch arbeitet. Ich arbeite häufig sehr gewissenhaft und dokumentiere Dinge auch sauber. Gib mir mal kurz einen Moment und ich schaue mich auch einmal um, was hier herumfliegt, vielleicht entdecke ich ja Teile eines chaotischen Projekts. Also ich habe zum Beispiel auf meinem Tisch Batterien liegen, die gehören eigentlich zu einem Rasenmäher. Die gab es einmal irgendwann so günstig zu kaufen, dass ich diese nur gekauft habe, um die Batterien zu haben – ohne ein konkretes Ziel. Und jetzt baue ich die so um, dass sie dann in einem Akkuschrauber sind, der sonst nicht mehr funktioniert hätte. Und das habe ich einfach so beschlossen zu machen, weil der Akkuschrauber nicht mehr funktioniert hat und ich ihn nochmal benutzen wollte. Jetzt muss ich fairerweise sagen: So chaotisch ist das nicht. Ich habe ein Problem erkannt und eine Lösung gesucht.
Ich denke, etwas Chaotisches, das hier im Verein häufiger passiert, ist, dass man irgendwelche Softwarestücke zusammenstückelt, weil man schnell eine Lösung braucht. Und dann wird aus dem Provisorium ein Dauerzustand. Dazu ist dann die nette Anekdote: Es gibt ja diese TÜV-Aufkleber, auf denen steht „nächste Überprüfung ab“. Und wir haben solche Aufkleber, da steht dann drauf „Provisorium seit“. Denn häufig passiert Folgendes: Dieses Provisorium hängt da, z.B. eine Lichtsteuerung, die man eigentlich nutzt, aber sie funktioniert nicht so richtig und man weiß auch nicht, wer das damals wie gebaut hat, das wurde gar nicht so richtig aufgeschrieben. Und dann wird da einfach nochmal was anderes rangefrickelt, um einen Aspekt zu verbessern. Aber vielleicht hat man etwas anderes dabei kaputt gemacht. Das passiert relativ häufig bei uns.
p. Was sind Vor- und Nachteile dieser Organisationsstruktur bzw. Nicht-Struktur?
CCC. Ich fange mal mit den Vorteilen an. Dadurch, dass es keine strikte Aufgabenverteilung gibt, machen alle von uns Dinge, auf die sie gerade Lust haben und die sie interessieren. Außerdem sind wir dadurch, dass wir eher lose organisiert sind, flexibler bei vielen Dingen. Es gibt so eine gewisse Macher-Mentalität im Sinne von „Wer macht, hat recht“. Es ist zum Beispiel sehr schön, wenn man mal zwei Wochen nicht im Clubraum war und zurückkommt und sieht, dass jemand etwas komplett Neues gebaut hat oder umdekoriert wurde. Wenn jemand beschließt, dass die Deckenbeleuchtung Mist ist, dann baut er die ab und macht eine neue hin. Da wird im Vorfeld nicht großartig kommuniziert, dass jemand sagt „Ja ich kaufe jetzt mal das und darf ich überhaupt X machen?“. Zumindest bei kleineren Sachen passiert das dann einfach.
Der Nachteil an der Geschichte ist dann, dass manchmal Dinge stehen bleiben, weil man das eben nicht so gut geplant hat. Weil man einfach mal machen wollte und stellt dann mitten im Umbau fest, dass das gar nicht so richtig funktioniert. Und dann bleibt ein Provisorium oder eine Baustelle.
Das Interview wurde geführt von Karl Bendler