Bildung für eine nachhaltige Entwicklung

Bildung ist ein Menschenrecht und die Basis für die Bekämpfung von Armut und Ungleichheit. Bildung hat positive Auswirkungen auf die Gesundheit, ermöglicht gesellschaftliche und wirtschaftliche Teilhabe und stärkt die Rolle der Frau. Entsprechend nimmt Bildung im Rahmen der Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen eine besondere Rolle ein. Mit dem SDG 4 „Quality Education “ ist dem Thema Bildung in der Agenda 2030 ein eigenes Ziel gewidmet. Ziel des SDGs 4 ist die Gewährleistung einer inklusiven, gleichberechtigten und hochwertigen Bildung für alle und die Förderung von Möglichkeiten des lebenslangen Lernens. Außerdem werden in dem Ziel eine diskriminierungsfreie und bezahlbare Bildung für alle sowie der Erwerb grundlegender Fähigkeiten, Kompetenzen und Fertigkeiten gefordert. (vgl. UN 2015)

Bildung kann Lernende aller Altersstufen bei der Entwicklung eines Verständnisses globaler sowie ökologischer, ökonomischer und sozialer Prozesse unterstützen (vgl. UNESCO 2021a; Schreiber/Siege 2016). Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE/Education for Sustainable Development, ESD) soll Wissen, Fähigkeiten, Werte und Haltungen vermitteln, damit Lernende verantwortungsbewusst im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung handeln und den damit einhergehenden Herausforderungen begegnen zu können (vgl. UNESCO 2021a). BNE ist ein lebenslanger Lernprozess und Bestandteil einer hochwertigen qualitativen Bildung (vgl. UNESCO 2021a). Im Rahmen des SDGs 4 wird BNE als ein eigenes Unterziel (4.7) formuliert.

Nationaler Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung

Lernen findet im Rahmen von BNE in verschiedenen sozialen Kontexten statt (vgl. UNESCO 2011). Der „Nationale Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung“ formuliert Handlungsfelder, Ziele und Maßnahmen, um die Forderungen des Unterziels 4.7 in Deutschland umzusetzen (vgl. BMBF 2017). Diese werden nach den fünf großen Bereichen des deutschen Bildungssystems gegliedert. Der Aktionsplan fordert die Integration von Bildung für nachhaltige Entwicklung in allen Bildungsbereichen (vgl. BMBF 2017).

Den ausführlichen Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung findest du unter   

https://www.bne-portal.de/bne/de/nationaler-aktionsplan/nationaler-aktionsplan.html

Folgende Bildungsbereiche werden unterschieden

  • Frühkindliche Bildung: Kindern zwischen 0 und 6 Jahren sollen sich spielerisch mit zukunftsrelevanten Themen und Fragestellungen auseinandersetzen.
  • Schule: Bildung für nachhaltige Entwicklung soll als Aufgabe des Bildungswesens verstanden werden. Dazu soll BNE in Lehr- und Bildungspläne integriert am Lernort und Sozialraum Schule gelebt werden sowie Kindern und Jugendlichen verschiedene Formen der Partizipation ermöglichen.
  • Berufliche Bildung: Berufliche Bildung ermöglicht jungen Menschen ein selbstbestimmtes und verantwortungsbewusstes Leben und soll die Zukunftsfähigkeit gesellschaftlicher, ökonomischer, sozialer und ökologischer Entwicklungen und globale Verflechtungen herausstellen.
  • Hochschule: Hochschulen vermitteln Wissen, Kenntnisse, Kompetenzen und Werte und sind durch ihre Forschung und Lehre zentrale Bildungseinrichtungen für eine nachhaltige Entwicklung.
  • Non-formales/informelles Lernen: Hierzu zählen alle Bildungsangebote für unterschiedliche Zielgruppen, die sich im Sinne des lebenslangen Lernens mit Fragestellungen nachhaltiger Entwicklung auseinandersetzen.

4 von 10 Kindern erreichen Mindestkompetenzen im Lesen und Rechnen

17% der Kinder weltweit besuchen keine Grund- oder Sekundarschule

Studierendenquote weltweit 38%, Subsahara-Afrika 9%, Deutschland 55%

Mädchen weltweit gehen nicht zur Schule

Daten und Fakten (UNESCO 2021b; Vereinte Nationen 2022)

Schlüsselkompetenzen für eine nachhaltige Entwicklung

Der Erwerb notwendiger Kenntnisse und Qualifikationen zur Förderung nachhaltiger Entwicklung wird in Unterziel 4.7 explizit formuliert und greift das Verständnis von BNE auf:

„ESD aims at developing competencies that empower individuals to reflect on their own actions, taking into account their current and future social, cultural, economic and environmental impacts, from a local and a global perspective. Individuals should also be empowered to act in complex situations in a sustainable manner, which may require them to strike out in new directions; and to participate in socio-political processes, moving their societies towards sustainable development.“

Der Erwerb von Schlüsselkompetenzen (key competencies) ist zentral, um zu einer nachhaltigen Entwicklung und somit zur Erreichung aller SDGs beizutragen. Schlüsselkompetenzen sind für alle Menschen weltweit notwendig, um die zunehmenden komplexen und globalen Herausforderungen im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung zu bewältigen (vgl. UNESCO 2017; OECD 2005). Schlüsselkompetenzen umfassen eine Reihe von spezifischen einzelnen Kompetenzen, die ineinandergreifen. Sie werden in verschiedenen Kombinationen und in unterschiedlichen Kontexten verwendet.  Im Rahmen der Forschung haben Diskurse zu Schlüsselkompetenzen für eine nachhaltige Entwicklung in den letzten zwanzig Jahren stark zugenommen, wobei insbesondere die Studie von Wiek et al. (2011) den Beginn eines zunehmenden Konsenses darüber, welche Schlüsselkompetenzen relevant sind und wie diese definiert werden, darstellt (vgl. Redman/Wiek 2021). Die Autor*innen haben basierend auf einem Review der Literatur ein erstes Framework für Kompetenzen zur Lösung von Nachhaltigkeitsproblemen entwickelt, das fünf Schlüsselkompetenzen beinhaltet. Dieses Framework wurde in den folgenden Jahren von unterschiedlichen Forscher*innen immer wieder ergänzt und angepasst, wobei mittlerweile im internationalen BNE-Diskurs Konsens darüber besteht, dass die folgenden acht Schlüsselkompetenzen von besonderer Relevanz sind (vgl. UNESCO 2017; Rieckmann 2018):

Systemdenken (Systems Thinking) 

Die Fähigkeit, Zusammenhänge zu erkennen und zu verstehen, komplexe Systeme zu analysieren, über die Einbettung von Systemen in verschiedenen Bereichen und Ebenen nachzudenken und mit Unsicherheit umzugehen.

Normative Kompetenz (Normative)

Die Fähigkeit, Normen und Werte, die dem eigenen Handeln zugrunde liegen, zu verstehen und zu reflektieren sowie Nachhaltigkeitswerte, -prinzipien, -ziele und -vorgaben in einem Kontext von Interessen- und Zielkonflikten, unsicherem Wissen und Widersprüchen auszuhandeln.

Antizipatorische Kompetenz (Anticipatory)

Die Fähigkeit, verschiedene Zukunftsszenarien – mögliche, wahrscheinliche und wünschenswerte – zu verstehen und zu bewerten, eigene Zukunftsvisionen zu entwerfen, das Vorsorgeprinzip anzuwenden, die Folgen von Maßnahmen abzuschätzen und mit Risiken und Veränderungen umzugehen.

Strategische Kompetenz (Strategic)

Die Fähigkeit, gemeinsam innovative Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen, die die Nachhaltigkeit auf lokaler Ebene und darüber hinaus fördern.

Kooperationskompetenz (Collaboration)

Die Fähigkeit, von anderen zu lernen, die Bedürfnisse, Perspektiven und Handlungen anderer zu verstehen und zu respektieren, mit anderen in Beziehung zu treten und sensibel mit ihnen umzugehen, mit Konflikten in einer Gruppe umzugehen und kooperative und partizipative Problemlösungen zu erleichtern.

Kritisches Denken (Critical Thinking)

Die Fähigkeit, Normen, Praktiken und Meinungen zu hinterfragen, eigene Werte, Wahrnehmungen und Handlungen zu reflektieren und im Nachhaltigkeitsdiskurs Position zu beziehen.

Selbstwahrnehmungskompetenz (Self-awareness)

Die Fähigkeit, die eigene Rolle in der lokalen Gemeinschaft und der (globalen) Gesellschaft zu reflektieren, das eigene Handeln kontinuierlich zu bewerten und weiter zu motivieren sowie mit den eigenen Gefühlen und Wünschen umzugehen.

Integrierte Problemlösungskompetenz (Integrated problem-solving)

Die übergreifende Fähigkeit verschiedene Problemlösungsrahmen auf komplexe Nachhaltigkeitsprobleme anzuwenden und tragfähige, integrative und gerechte Lösungsoptionen zu entwickeln, die eine nachhaltige Entwicklung fördern und die oben genannten Kompetenzen integrieren.

SDG 4 „Quality Education“

Bis 2030…

4.1
… sicherstellen, dass alle Mädchen und Jungen gleichberechtigt eine kostenlose und hochwertige Grund- und Sekundarschulbildung abschließen, die zu brauchbaren und effektiven Lernergebnissen führt

4.2
… sicherstellen, dass alle Mädchen und Jungen Zugang zu hochwertiger frühkindlicher Erziehung, Betreuung und Vorschulbildung erhalten, damit sie auf die Grundschule vorbereitet sind

4.3
… den gleichberechtigten Zugang aller Frauen und Männer zu einer erschwinglichen und hochwertigen fachlichen, beruflichen und tertiären Bildung einschließlich universitärer Bildung gewährleisten

4.4
… die Zahl der Jugendlichen und Erwachsenen wesentlich erhöhen, die über die entsprechenden Qualifikationen einschließlich fachlicher und beruflicher Qualifikationen für eine Beschäftigung, eine menschenwürdige Arbeit und Unternehmertum verfügen

4.5
… geschlechtsspezifische Disparitäten in der Bildung beseitigen und den gleichberechtigen Zugang der Schwachen in der Gesellschaft, namentlich von Menschen mit Behinderungen, Angehörigen indigener Völker und Kindern in prekären Situationen, zu allen Bildungs- und Ausbildungsebenen gewährleisten

4.6
… sicherstellen, dass alle Jugendlichen und ein erheblicher Anteil der männlichen und weiblichen Erwachsenen lesen, schreiben und rechnen lernen

4.7
… sicherstellen, dass alle Lernenden die notwendigen Kenntnisse und Qualifikationen zur Förderung nachhaltiger Entwicklung erwerben, unter anderem durch Bildung für nachhaltige Entwicklung und nachhaltige Lebensweisen, Menschenrechte, Geschlechtergleichstellung, eine Kultur des Friedens und der Gewaltlosigkeit, Weltbürgerschaft und die Wertschätzung kultureller Vielfalt und des Beitrags der Kultur zu nachhaltiger Entwicklung

Unterziele des SDG 4 „Quality Education“ (https://sdg-indikatoren.de/4/)

Bildung für nachhaltige Entwicklung an der RWTH

Auch an der RWTH ist Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) ein relevantes Thema. Doch wie genau wird diese in die Lehre integriert? Die philou. hat bei der Stabsstelle Nachhaltigkeit und Hochschulgovernance nachgefragt.

philou. Was versteht die RWTH unter Bildung für nachhaltige Entwicklung?

Stabsstelle Nachhaltigkeit und Hochschulgovernance. Im Nachhaltigkeitsleitbild der RWTH Aachen hat die Hochschule festgehalten, dass die Vermittlung von Wissen und die Befähigung zu kritischem Denken und die damit einhergehende Fähigkeit zu verantwortungsvollem Handeln die Schlüsselelemente für eine nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft sind. Studierende müssen mit Wissen und Kompetenzen ausgestattet werden, aber auch mit Motivation und Kreativität, um den heutigen und zukünftigen Herausforderungen zu begegnen. Hier kann die Lehre wegweisend sein, da inter- und transdisziplinäre Ansätze für eine Transformation unserer Gesellschaft erforderlich sind. Bildung für nachhaltige Entwicklung muss dabei problemgerecht und international ausgerichtet und organisiert sein. Neben der fachlichen Ausbildung gehören auch die Förderung und Weiterentwicklung von sozialen und persönlichen Kompetenzen der Studierenden dazu.

p. Wie soll Bildung für nachhaltige Entwicklung an der RWTH umgesetzt werden?

S. Durch wirksame und zielgruppengerechte Lehrformate soll die fachliche und überfachliche Bildung in Verbindung mit einer Persönlichkeitsentwicklung der Studierenden gefördert werden. Digitale und projektorientierte Angebote, die in das Studium integriert sind, schaffen dabei den Raum für eine aktivierende, interaktive, kollaborative Lehre, die Lehrende und Studierende zusammenbringt.

Umgesetzt wird dies beispielsweise durch Lehrformate wie das „Leonardo-Projekt“. In diesem Projekt lernen Studierende durch die gemeinsame, interdisziplinäre Arbeit die unterschiedlichen Denkweisen und Ansätze von Disziplinen kennen und können mit Kommilitoninnen und Kommilitonen anderer Fachbereiche und Studienrichtungen der RWTH Aachen ins Gespräch kommen. Das Projekt „Leonardo“ fördert die Befähigung von Studierenden, ihr fachspezifisches Wissen in einem weiteren Kontext zur Bewältigung globaler und gesellschaftlicher Herausforderungen zu nutzen und so verantwortungsbewusst Probleme zu lösen.

Zudem ist die RWTH Teil des Kooperationsprojektes „SDG-Campus“. Der „SDG-Campus“ bietet ein fächerübergreifendes Lehrangebot für Nachhaltigkeit über eine digitale Lernplattform mit Inhalten zum Selbststudium. Die Lehrangebote haben unterschiedliche Niveaustufen und können individuell nach dem Baukastenprinzip zusammengestellt werden.

p. Was sind Herausforderungen bei der Umsetzung?

S. Bei der Umsetzung von BNE kann sich die Vermittlung zwischen einerseits fachlichen und andererseits überfachlichen Kompetenzen herausfordernd gestalten. Viele Curricula sind bereits mit fachlichen Inhalten sehr ausgelastet, sodass kaum Platz für weitere Aspekte im Sinne der BNE zur Verfügung steht.

p. Was sind diesbezüglich die Aufgaben der Stabsstelle Nachhaltigkeit und Hochschulgovernance?

S. Wir als Stabsstelle Nachhaltigkeit bemühen uns insbesondere Informationen und Unterstützungsangebote für die Lehrenden zur Verankerung von Nachhaltigkeit in die bestehende universitäre Lehre bereitzustellen. Zudem möchten wir Strukturen fördern, die die Möglichkeiten zur Verankerung von Nachhaltigkeit in der Lehre bieten. Dabei gilt es aber natürlich die Freiheit der Lehre und die Hoheit der Fakultäten für die Lehre zu beachten und die Lehre entsprechend gemeinsam weiterzuentwickeln.

Literaturverzeichnis

BMBF (2017): Nationaler Aktionsplan Bildung für Nachhaltige Entwicklung. Der deutsche Beitrag zum UNESCO-Weltaktionsprogramm.

OECD (2005): The Definition and Selection of Key Competencies. Executive Summary.

Redman, A.; Wiek, A. (2021): Competencies for Advancing Transformations Towards Sustainability. Frontiers in Education, 6.

Rieckmann, M. (2018): Learning to transform the world: key competencies in education for sustainable development. In: Leicht, A., Heiss, J., Byun, W. (Hg.): Issues and trends in education for sustainable development. Paris: UNESCO. S. 39–59.

Schreiber, J.; Siege, H. (2016): Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung im Rahmen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung. Bonn: Engagement Global.

UN (2015): Transforming our World: The 2030 Agenda for Sustainable Development.

UNESCO (2011): Education for Sustainable Development. An Expert Review of Processes and Learning.

UNESCO (2017): Education for Sustainable Development. Learning Objectives.

UNESCO (2021a): Education for Sustainable Development. A roadmap.

UNESCO (2021b): Global education monitoring report, 2021/2: non-state actors in education: who chooses? who loses?

Vereinte Nationen (2022): Ziele für nachhaltige Entwicklung. Bericht 2022.

Wiek, A.; Withycombe, L.; Redman, C. (2011): Key competencies in sustainability: a reference framework for academic program development. Sustainability Science, 6(2). S. 203–218.

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