Ballade des kleinen Unbekannten

Als die Tage wurden trüber,
Habe ich mich gut versteckt,
Dass egal, wer schaut herüber
Keines Falls mich hier entdeckt.

In den Baumkronen des Lebens
Sah ich auf die Welt hinab,
Suchte ewig, doch vergebens
Den Blick hinter die Attrapp‘.

Menschen, Menschen, unversehen
Sah ich auf- und untergeh’n,
Manche mit dem Winde wehen,
And’re fest auf Erden steh’n.

Doch die Zeit, sie blieb nicht stehen
Und ich fiel, nicht weit vom Stamm.
Es erfasste mich ein Wehen
Auf dem Meer, wo ich verschwamm.

In der Tiefe war’s, da hört‘ ich
Eine webende Musik,
Eine Stimme fern, doch deutlich
Die sich an die Seele schmiegt:

„Groß wähnt sich des Menschen Wille,
Groß im Auge seiner Qual!“
Und ein Blitz schlug ein, dann Stille,
Die noch mächt’ger als der Strahl.

Leise, zart begann von Neuem
Eine Stimme, diesmal nah.
Deutlich klingend, doch mit scheuem
Ton, sodass man Quell‘ nicht sah:

„Ach, je größer sein Empfinden,
Umso weiter reicht sein Blick,
Doch er tastet gleich dem Blinden
Nach dem ewig größer’n Stück.

Ohne je gewahr zu werden,
Ursprung, Kreislauf, Ziel und Sinn.
Doch – mit maßlosen Gebärden
Wähnt er sich als Herr darin.“

Eine weit’re Stimme, strenger
Fügte sich dem zarten Klang.
Die Distanz schien wieder länger
Doch mit tiefer wirkend‘ Drang:

„Räume steigern sich ohn‘ Ende,
Gleiches gilt der Hybris auch.
Doch was daraus auch entstände,
Ist von zyklischem Gebrauch.

Strebe, Mensch, nicht nach der Größe,
Nach dem endlos trüben Schein,
Denn je höher deine Stöße,
Holt sehr bald dich Kleines ein.“

Stille, ziehend, ich zog weiter
Wie ein Fremdkörper im Meer.
Ferne Welten als Begleiter
Schwammen tonlos um mich her.

Chaos, Ordnung: Raum-(Kol)lapse?
Denk-Skalierung, treibend Sand?
Eine große Welt-Synapse
Spiegelt Kleines im Verstand.

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