„Wie eine Bausünde zur No-go-Area wurde“ (Schmidt 2018), „Ebertplatz wird zur No-go-Zone – und die Polizei ist machtlos“ (Jedicke 2017), „Ebertplatz – Eine No-go-Zone im Herzen von Köln?“ (afd-fraktion.nrw 2018). Eine schnelle Google-Suche unter Verwendung der Suchbegriffe ‚Ebertplatz Köln No Go Area‘ zeigt, wie dieser urbane Raum als No-go-Zone, teilweise auch als Angstraum bezeichnet wird. Auffällig ist dabei, dass sich unter den ersten fünf angezeigten Suchtreffern ein Link zur AfD-Fraktion NRW befindet. Unter den drei Videovorschlägen, die Google anzeigt, taucht zudem ein Video der vom Bundesamt für Verfassungsschutz unter Beobachtung stehenden rechtsextremen Identitären Bewegung auf.
In dem vorliegenden Beitrag wird die soziale Konstruktion von sogenannten Angsträumen beleuchtet und die exkludierende Wirkung dieser Begrifflichkeiten auf unterschiedliche Personengruppen aufgezeigt. Außerdem wird in diesem Beitrag erläutert, wie Angsträume von rechten Gruppierungen instrumentalisiert werden, um ohnehin schon marginalisierte Personen(gruppen) zu stigmatisieren.
Nachfolgend werden die Begriffe No-go-Area und Angstraum näher beleuchtet und es wird dargelegt, warum hier der Begriff Angstraum Verwendung findet. Vorab wird auf den Zusammenhang zwischen Urbanität und Angsträumen eingegangen. Auch wenn die Wahrnehmung von Angsträumen subjektiv ist, werden in der Forschung gewisse Phänomene genannt, die oftmals charakteristisch für Angsträume sind. Dazu gehört ein Aspekt der Fremdheit, der sich sowohl auf fremde Personen beziehen kann als auch auf die Fremdheit oder Unübersichtlichkeit eines Raumes. Fremde Personen können in dem hier analysierten Zusammenhang (also in westlichen, kapitalistischen Industrienationen) all jene sein, die bspw. aufgrund ihres Aussehens oder ihrer Handlungen nicht der weißen, bürgerlichen Mittelschicht entsprechen. Darunter fallen Personen mit dunkler Hautfarbe ebenso wie Drogenkonsumierende oder heruntergekommen aussehende Menschen. Fremde und Anonymität gelten gleichzeitig als Merkmale urbaner Räume [Anm. d. Verf.: Eine Bestimmung des Urbanen ist allerdings kaum möglich, da das Urbane nicht existiert. Bei dem Versuch, Urbanität auf einige Charakteristika herunter zu brechen, besteht die Gefahr des Essentialismus sowie einer Simplifizierung der komplexen, heterogenen Mechanismen, die Urbanität(en) prägen.] (vgl. Siebel 2015). Auch sogenannte Dis-Order Phänomene, die in Angsträumen zutage treten, sind charakteristisch für urbane Räume: Hierzu zählen Verschmutzung, Verwahrlosung, Betteln, Vandalismus, Drogen- und Alkoholkonsum (vgl. Wehrheim 2006; Stiegler 2017). All diese Merkmale sind urbanen Räumen inhärent. Auch wenn Angsträume sicherlich in suburbanen Bereichen auftreten, so können sie doch als dem Urbanen immanent angesehen werden.
Die Bezeichnung No-go-Area kommt aus dem Militärbereich und wurde bspw. im Vietnamkrieg verwendet (vgl. Clark 1990). Vor gut zehn Jahren wurden in öffentlichen Debatten Räume als No-go-Area bezeichnet, in denen insbesondere Personen mit dunkler Hautfarbe vor rechter Gewalt nicht sicher waren (vgl. Begrich/Weber 2007). Umgangssprachlich findet der Begriff heutzutage im Zusammenhang mit urbanen Räumen als Steigerung des Angstraum-Begriffs Verwendung. Die Nutzung des Begriffs kann einen Framing-Effekt auslösen, wonach angeblich unsichere Stadtteile, die eine hohe Migrant_innendichte aufweisen, mit einer (militärischen) Invasion in Verbindung gebracht werden. Auch wenn sich die Bedeutung des Begriffs über die Jahre gewandelt hat, so scheint ihm die Abwesenheit des staatlichen Gewaltmonopols (vgl. Begrich/Weber 2007) inhärent zu sein. Deshalb ist die Verwendung dieses Begriffs für Räume wie den hier beispielhaft genutzten Kölner Ebertplatz nicht passend, denn dieser ist kein rechtsfreier Raum, in dem das Gewaltmonopol des Staates keine Wirkmacht mehr besitzt.
Seit den 1980er Jahren wird der Begriff Angstraum innerhalb feministischer Strömungen in Geographie, Stadt- und Raumsoziologie und ähnlichen Disziplinen im deutschsprachigen Raum kritisch diskutiert (vgl. Ruhne 2011). Diese Ansätze weisen darauf hin, dass Angsträume angeblich insbesondere für Frauen existieren. Dabei werden Frauen als Opfer dargestellt, während Männern eher die Rolle von Tätern oder Beschützern zugeschrieben wird [Anm. d. Verf.: In diesem Zusammenhang wird sich hier ausschließlich auf Frauen und Männer bezogen, obwohl dadurch die binäre Geschlechterordnung reproduziert wird und Personen, die sich dieser binären Ordnung nicht zugehörig fühlen, unsichtbar gemacht werden. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass im deutschsprachigen Raum Studien zu Gewalt im öffentlichen Raum gegen Trans*Personen immer noch sehr selten sind.]. Angst wird zu einer typisch weiblichen Eigenschaft und in diesem Angstraum-Verständnis wird eine über die Kategorie Geschlecht transportierte Machtasymmetrie deutlich, die Ausschlüsse vom öffentlichen Raum zur Folge hat. Frauen verlassen in Deutschland das Haus in der Dunkelheit dreimal seltener als Männer (vgl. Infratest Dimap 2017), was auf eine eingeschränkte Mobilität schließen lässt. Dass auch andere Personengruppen von Gewalt oder Angst im öffentlichen urbanen Raum betroffen sein können, wird durch den Angstraum-Begriff ausgeblendet. Demnach werden negative Zuschreibungen zu Räumen reproduziert und die Fakten verschleiert: Frauen sind öfter Gewalt im privaten Raum ausgesetzt, während Männer eher im öffentlichen Raum Gewalt erleben (vgl. Ruhne 2011). Angsträume werden mit räumlichen Merkmalen wie dunklen, verwinkelten Ecken, Zuständen wie Verwahrlosung und städtebaulichen Situationen wie Unterführungen in Verbindung gebracht (vgl. Sailer 2003). Der Angstraum-Begriff weist auch auf eine Raum-Zeit-Dimension hin, da Angsträume häufig mit Dunkelheit assoziiert werden (vgl. Zinganel 2003). Jeder Raum kann für ein Individuum einen Angstraum darstellen. Demnach erfolgt diese Zuschreibung subjektiv und es sind weniger die baulichen Strukturen, die Angst vermitteln, sondern die sozialen Komponenten – also die Menschen, die sich in Räumen aufhalten und ihr Verhalten (vgl. Sailer 2003). Die Umsetzung städtebaulicher Maßnahmen gegen Angsträume kann lediglich oberflächliche Erfolge erzielen, denn „Angst, ebenso natürlich wie menschlich, wird auf einen Raum projiziert, sie wird nicht ursächlich von diesem Raum produziert“ (Sailer 2003: 12). Nachhaltiger wäre es, strukturelle Ungleichheiten und Probleme anzugehen und die Stigmatisierung bestimmter Personen(gruppen) und Räume einzudämmen, anstatt diese in medialen Berichterstattungen zu reproduzieren.
In dem hier vorliegenden Beitrag wird davon ausgegangen, dass Raum kein starrer Behälter ist, sondern sozial produziert wird (vgl. Lefebvre 1991). Er wird durch Personen und deren Handlungen hergestellt und wirkt gleichzeitig auf diese Personen und Handlungen ein. Somit sind Räume eher fluide statt starr und unbeweglich. Stark verkürzt dargestellt, wird Raum als mehrdimensional verstanden. Diese Herangehensweise an Räume teilt Hille Koskela, die sich (kameraüberwachten) Räumen mithilfe unterschiedlicher Raumdimensionen nähert (vgl. Koskela 2000). Auf Angsträume lassen sich insbesondere zwei von Koskelas Raumdimensionen anwenden: der power-space und der emotional space. Machtstrukturen werden in Angsträumen auf vielfältige Art sichtbar. Die Nutzung oder Aneignung eines (Angst)Raumes – bspw. durch Polizist_innen, Überwachungstechnologien, bestimmte Personen(gruppen) – ist nicht frei von gesellschaftlich vorherrschenden Machtstrukturen. Das Konzept des emotional space hebt auf die paradoxen Gefühle ab, die mit einem Raum verknüpft sein können (vgl. Koskela 2000). Die Nutzung eines Raumes kann Angst oder Unbehagen auslösen, falls dieser typische Merkmale von Angsträumen aufweist, selbst wenn dieser Raum statistisch gesehen nicht als unsicher gilt. Auch die Anwesenheit von Polizist_innen kann mit ambivalenten Gefühlen einhergehen: Nutzer_innen können sich gleichzeitig sicherer durch ihre Anwesenheit fühlen aber auch dafür sensibilisiert werden, dass dieser Raum scheinbar gefährlich ist, denn wie sonst wäre die Anwesenheit von Polizist_innen zu erklären? Gefühle wie Angst sind stark mit Körpern verbunden, da sie einerseits körperliche Reaktionen, wie einen schnelleren Herzschlag, hervorrufen können und „fear is felt differently by different bodies“ (Ahmed 2014: 68). Sara Ahmed weist darauf hin, dass Körper durch Angst eingedämmt werden, schrumpfen und somit weniger Raum einnehmen: „fear works to restrict some bodies through the movement or expansion of others“ (Ahmed 2014: 69).
Werden (Angst-)Raumkonstruktionen aus einer diskurstheoretischen Perspektive betrachtet, kommt Sprache eine zentrale Funktion zu, da sie durch Diskurse Wirklichkeit herstellt (vgl. Kutschinske/ Meier 2000). Diskurse produzieren Wissen mithilfe von Sprache und beeinflussen unsere Weltsicht. Insbesondere im Zusammenhang mit der Instrumentalisierung von Angsträumen durch rechte Gruppierungen muss danach gefragt werden, wer Wissen produziert und wer entscheidet, welches Wissen als wahr und gültig verstanden wird und in Diskurse einfließt. Nach Michel Foucault können Wissen – und demnach auch Diskurse – nicht neutral sein (vgl. Foucault 1974; Marquardt/Schreiber 2015). In postkolonialen Theorien werden diese Überlegungen zu Diskursen bspw. von Edward Said mit dem Konzept des Anderen verknüpft. Dabei wird die soziale Konstruiertheit der Kategorien des Orients und des Westens betont. Diese Konzepte können genutzt werden, um Menschen zu manipulieren und Angst sowie Hass gegenüber den Anderen zu schüren. (vgl. Said 1978). Said und Chandra Mohanty warnen davor, Personengruppen eine kollektive Identität zuzuschreiben, anstatt sie als heterogene Gruppen von Individuen wahrzunehmen. In Mediendiskursen wird diese Heterogenität häufig nicht beachtet, insbesondere wenn über den Islam, den Westen, muslimische Männer und deutsche Frauen berichtet wird. (vgl. Said 1978; Mohanty 1984). Demnach sind Sprache und Diskurse nicht neutral, sondern von Machtverhältnissen beeinflusst.
Die AfD NRW schreibt in einer kleinen Anfrage an die Landesregierung, dass „Einheimische versuchen, den „Krieg zwischen Schwarzafrikanern und Marokkanern“ auf dem Ebertplatz zu „meiden“ und dass „insbesondere für Frauen […] hier offensichtlich eine größere No-go-Zone in Köln entstanden“ ist (afd-fraktion.nrw 2018) und bezieht sich dabei auf Berichterstattungen überregionaler Medien. Mit derlei Aktionen macht die AfD Angsträume zu einem zentralen Thema ihrer politischen Agenda. Wenn auch Medienberichte bestimmte urbane Räume als Angsträume labeln und dabei insbesondere nordafrikanische, muslimische, zugewanderte Männer als Täter(gruppe) stigmatisiert werden, dann hat dies Einfluss auf die gesellschaftliche Wahrnehmung dieser Personen(gruppen) und dieser Räume. Machtstrukturen werden dabei insbesondere durch eine postkoloniale Betrachtungsweise sichtbar (vgl. Said 1978; Hall 1996): Diejenigen, die Angstraum-Diskurse bestimmen, sprechen und schreiben über die Anderen, aber lassen sie selber kaum zu Wort kommen. Die Anderen sind in diesem Fall nordafrikanische Männer, die objektiviert, stigmatisiert und einer eigenen Stimme beraubt werden. Demnach werden nicht nur asymmetrische Machtstrukturen zwischen den Geschlechtern in Angstraum-Diskursen sichtbar, sondern auch hegemoniale, (post)koloniale Machtpositionen verfestigt und reproduziert. Gleichzeitig wird ein Narrativ von den fremden Männern sowie von Angsträumen durch Diskurse sozial konstruiert. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Erfahrungen mit Gewalt oder Kriminalität bspw. am Kölner Ebertplatz nicht real sind. Dieses dialektische Verhältnis zwischen sozialer Konstruktion und realen Erfahrungen soll am Beispiel von Frauen als Analysekategorie beleuchtet werden. Mohanty schreibt dazu, dass Frauen in feministischen Analysen oftmals durch ihre vermeintlich geteilte Unterdrückungserfahrung charakterisiert werden. Die angebliche Gleichheit der Form ihrer Unterdrückung ist das, was sie ausmacht. Durch diese Sichtweise wird verschleiert, dass Frauen sowohl als diskursiv konstruierte Gruppe existieren, als auch als materielle Subjekte ihre individuellen Geschichten verkörpern. Dadurch wird die diskursiv hergestellte homogene Gruppe von Frauen mit der individuellen materiellen Realität unterschiedlicher Gruppen von Frauen verwechselt (vgl. Mohanty 1984). Die diskursive Konstruktion von Frauen und ihre Rolle als materielle Subjekte ihrer individuellen Geschichte zeigen, dass Angsträume sozial konstruiert sein können, ohne tatsächlich stattgefundene Übergriffe in diesen Räumen zu negieren (vgl. Gaedicke, im Erscheinen). Somit werden individuelle Erfahrungen auf der Mikroebene zu einer (Massen-)Erfahrung auf der Makroebene.
Die teilweise durch mediale Berichterstattung vermittelte eindimensionale Sicht auf Angsträume lässt verschiedene Personen(gruppen) besonders sichtbar in Räumen werden – bspw. nordafrikanische, fremde Männer – während andere Personen(gruppen) evtl. unsichtbar im öffentlichen Raum werden, da sie ihn aus Angst kaum noch (alleine) benutzen – wie bspw. Frauen. Damit einhergehen Formierungen, die an Bürger_innenwehren erinnern: Der Begleitschutz Köln e.V. wirbt damit, dass insbesondere ältere Menschen, Frauen und Kinder der Anonymität der Großstadt hilflos ausgeliefert sind und es daher dem Service des Begleitschutzes bedarf, um diese Personengruppen sich an ihr Ziel zu bringen (vgl. begleitschutz-koeln-ev.de). Der Verein sowie sein erster Vorsitzender werden der rechten Szene in Köln zugeordnet (vgl. Marken 2018). Gruppierungen wie diese können als anti-urban bezeichnet werden, da Merkmale der Großstadt wie Anonymität und Fremde zu Problemen gemacht werden (vgl. Wehrheim 2006). Demnach muss ihre Legitimation in Frage gestellt werden.
“Finally, the discourse of “the West and the Rest” could not be innocent because it did not represent an encounter between equals. (…) the Europeans stood, vis-à-vis the Others, in positions of dominant power. This influenced what they saw and how they saw it, as well as what they did not see” (Hall 1996: 204).
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Quellen
AfD Fraktion NRW (2018): Ebertplatz – Eine No-go-Zone im Herzen von Köln? In: Kleine Anfrage d474 des Abgeordneten Herbert Strotebeck. Online verfügbar unter: https://afd-fraktion.nrw/2017/10/23/ebertplatz-eine-no-go-zone-im-herzen-von-koeln/ [Zugriff: 15.11.2018].
Ahmed, S. (2014): The Cultural Politics of Emotion. Edinburgh: Edinburgh University Press.
Begrich, D.; Weber, T. (2007): Warum Angsträume mehr sind als „No-Go-Areas“. In: Deutsche Zustände, Folge 5. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.
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Jedicke, H. (2017): Ebertplatz wird zur No-Go-Zone – und die Polizei ist machtlos. In: focus.de, 23.10.2017. Online verfügbar unter: https://www.focus.de/politik/deutschland/koelner-norden-ebertplatz-wird-zur-no-go-zone-und-die-polizei-ist-machtlos_id_7752317.html [Zugriff: 15.11.2018].
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