Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser?

In Deutschland sind Gentests ohne begründeten Verdacht verboten – außer in der Schwangerschaft. Warum ist das so und welche Verantwortung ergibt sich daraus? Ab wann ist ein Kind krank und wo ist die Grenze zur Gesundheit? Ist es in Ordnung, Eltern ein Leben mit einem beeinträchtigen Kind zuzumuten, weil sie sich einen Test nicht leisten konnten? Ist es legitim, ein Baby einem Test zu unterziehen, von dem es keinen eigenen Vorteil haben wird?

Im Folgenden soll deshalb die Verantwortung der einzelnen Akteure, also der Eltern, des Arztes, des Staats sowie der Unternehmen, welche nicht-invasive Pränataltests vertreiben, näher beleuchtet werden.

Neben den standardmäßigen Vorsorgeuntersuchungen in der Schwangerschaft werden weiterführende Untersuchungen, bei Risikoschwangeren und bei Hinweisen auf eine Komplikation, von der Krankenkasse übernommen. Untersuchungen auf den Wunsch der Eltern hin, müssen als sogenannte IGEL (Individuelle Gesundheitsleistung) selbst bezahlt werden. Zu den beliebtesten IGEL in der Schwangerschaft zählt das Ersttrimester-Screening zur Führerkennung von Trisomie 21 (Down-Syndrom). Dabei werden mit zwei Laborwerten (β-HCG und PAPP-A) im mütterlichen Blut, dem Alter der Mutter und der Nackenfaltentransparenz (die Dicke des Nackens über der Halswirbelsäule) 90% der Babys mit Down-Syndrom identifiziert, bei einer falsch-positiv Rate von 5% (vgl. Nicolaides et al. 2005). Bei einem positiven Befund wird eine Fruchtwasserpunktion (Amniozentese) oder Biopsie des Mutterkuchens (welcher entgegen seines Namens aus Gewebe des Fötus besteht) zur Sicherung der Diagnose durchgeführt. Die Fruchtwasserpunktion wird bei allen Schwangeren über 35 Jahren auch von der Krankenkasse bezahlt, ohne dass vorher ein Ersttrimester-Screening passiert ist. Ein großer Nachteil der Punktion ist, dass sie in etwa 0,3% (vgl. Beta et al. 2018) zu einer Fehlgeburt führt, weshalb nicht-invasive Pränataltests (NIPT) aufgrund ihrer einfachen Durchführung und der Zuverlässigkeit des Ergebnisses immer mehr an Bedeutung gewinnen.

Für einen NIPT wird einer schwangeren Frau üblicherweise ab der neunten Schwangerschaftswoche Blut abgenommen, in welchem immer auch DNA des Fötus vorkommt, und diese auf Chromosomenstörungen hin untersucht. Nicht-invasive Pränataltests sind erst seit wenigen Jahren auf dem Markt und werden von unterschiedlichen Herstellern angeboten. Bei dem PraenaTest etwa, dem derzeit umfangreichsten NIPT auf dem Markt, wird der Fötus nicht nur auf Trisomie 21 (Down-Syndrom), sondern auch auf Trisomien und Monosomien aller anderen Chromosomen getestet, sowie auf Fehlverteilungen der Geschlechtschromosomen/Intersexualität, bei einem negativen Vorhersagewert von 99,68% (vgl. Lifecodexx 2019). NIPTs stellen damit eine quasi risikolose, schmerzarme und praktisch genauso zuverlässige Methode wie eine Fruchtwasserpunktion dar, ein Baby pränatal auf bestimmte Erbkrankheiten zu testen. Ein Nachteil ist jedoch der hohe Preis, welcher bei mehreren hundert Euro liegt und bisher von den Eltern übernommen werden muss. Auch deshalb gibt es in der letzten Zeit Bestrebungen, die Krankenkassen zur Übernahme der NIPTs zu verpflichten, um auch weniger zahlungskräftige Familien am medizinischen Fortschritt teilhaben zu lassen und nicht durch potentiell gefährliche Untersuchungen zu benachteiligen (vgl. Ärzteblatt 2019a, 2019b).

Einerseits sind diese Tests eine deutliche Verbesserung zu den vorherigen Möglichkeiten, andererseits stellt sich auch die Frage, ob umfangreiche genetische Tests standardmäßig vorgenommen werden sollten.

Alle Eltern wünschen sich ein gesundes Kind und eine bestmögliche Versorgung schon vor der Geburt. Viele können sich vielleicht vorstellen ein Kind zu bekommen, welches nach der Geburt einige Zeit im Krankenhaus verbringen muss, aber mit der Aussicht, das ganze Leben auf ein beeinträchtigtes Kind auszurichten, das eventuell nie selbstständig werden wird, fühlen sie sich häufig überfordert. Oft entscheiden sich Mütter und Väter deshalb für eine Pränataldiagnostik, um so früh wie möglich Klarheit zu haben. Trotzdem liegt es auch in ihrer Verantwortung, kritisch zu hinterfragen, ob sie alle Möglichkeiten der Pränataldiagnostik nutzen möchten und welche Folgen sich für sie aus einem möglicherweise unerfreulichen Testergebnis ergeben.

[su_box title=““ title_color=“#b1832f“ class=“fancy article-infobox-40-right small-text“] Während der Schwangerschaft finden üblicherweise alle vier Wochen bis zur 32. Schwangerschaftswoche und danach bis zur Geburt alle zwei Wochen Untersuchungen statt, um sicherzustellen, dass es Mutter und Kind in der Schwangerschaft gut geht. Dabei werden standardmäßig Blutdruck und Gewicht gemessen, sowie eine Urinprobe auf Krankheiten wie etwa Blasenentzündungen und Nierenprobleme hin untersucht. Ab dem sechsten Schwangerschaftsmonat wird der Hämoglobinwert bestimmt, um eine Blutarmut frühzeitig zu erkennen und in der fortgeschrittenen Schwangerschaft der Puls des Kindes mit einem Kardiotokogramm (CTG) gemessen, sowie die Lage des Kindes bestimmt. Die Schwangere wird zudem einmalig auf Infektionskrankheiten und Diabetes hin getestet und um die zehnte, zwanzigste und dreißigste Schwangerschaftswoche werden Ultraschalluntersuchungen durchgeführt. (vgl. Gemeinsamer Bundesausschuss 1985)[/su_box]

Informationen zur Diagnostik erhalten Eltern meist vor allem über ihren Arzt, dessen Intention der optimale Gesundheitszustand seiner Patienten sein sollte. Menschen ohne medizinische Vorbildung verbinden das Wort „Trisomie“, welches das Vorhandensein von drei statt normal zwei gleichartigen Chromosomen beschreibt, meist ausschließlich mit dem Down-Syndrom. Je nachdem welches Chromosomenpaar betroffen ist, können die Folgen von Trisomien allerdings von „kaum/nicht-beeinträchtigt“ bei einem Klinefelter-Syndrom, bis „todkrank“ bei einer Trisomie 18 reichen. Deshalb ist es absolut unerlässlich, dass der behandelnde Arzt, als medizinischer Experte, seine Patienten vollumfänglich, allgemein verständlich und neutral über pränataldiagnostische Testverfahren aufklärt. Weiterhin sollte der Arzt sich selbst genau über die diagnostische Sicherheit der Tests informieren und den Eltern korrekte Angaben dazu machen, denn viele Ärzte überschätzen die Nützlichkeit von präventiven Screenings deutlich. (vgl. Wegwarth et al. 2012) Zudem sollten sie auch darauf hinweisen, dass die Patienten ein Recht auf Nichtwissen haben und nicht aus monetären Gründen möglichst viele Untersuchungen empfehlen. Ärzte sind in der Verantwortung, NIPTs als Verbesserung der bestehenden Pränataldiagnostik zu nutzen und nicht als Patentlösung für alle Eltern.

Hersteller von NIPTs sind Unternehmen, deren Hauptanliegen die Bedienung der Wünsche der Kunden ist, um so die Gewinne zu maximieren. Dennoch sind auch sie dafür verantwortlich ihre Produkte nicht als einfache Bluttests zu vermarkten, welche jede Schwangere in Anspruch nehmen sollte und so ihre Bedeutung zu verharmlosen. Zudem sollten Medizinunternehmen ihre Tests nicht nur so entwickeln, dass sie möglichst viele Krankheiten erkennen, sondern vor allem Richtung Sensitivität und Spezifität hin optimieren, um die größtmögliche Sicherheit des Ergebnisses zu gewährleisten.

Die Regulierung medizinischer Diagnostik ist die überwiegende Verantwortung des Staates, welcher die bestmögliche Gesundheitsversorgung seiner Bürger im Sinne hat. Gleichzeitig kommt dem Staat eine gewisse Rolle als Wächter der Moral zu Gute, in der er ethisch fragwürdige Entwicklungen in der Gesellschaft verhindern sollte. Der Staat hat auch die Aufgabe, Menschen vor sich selbst zu schützen, etwa durch das Gendiagnostik-Gesetz, in dem unter anderem festgelegt ist, dass zu einem Test immer eine genetische Beratung vorher und nachher stattfinden muss oder dass ein Arbeitgeber keine Gentests als Einstellungsuntersuchung durchführen darf. Gleichzeitig muss der Staat aber auch gewährleisten, dass alle Bürger, unabhängig von ihrem Einkommen, Zugang zu modernster Medizin und damit auch genetischer Pränataldiagnostik haben.

Im September 2019 beschloss der gemeinsame Bundesausschuss, dass der NIPT für die Trisomien 21, 18 und 13 ab 2020 eine Kassenleistung wird, eine Entscheidung, die viel diskutiert wurde (vgl. Gemeinsamer Bundesausschuss 2019). Würden NIPTs, welche auf alle numerischen Chromosomenstörungen und gegebenenfalls weitere Gendefekte testen, als reguläre Vorsorgeuntersuchung etabliert, bestünde eindeutig die Gefahr, dass der Druck auf Eltern ein gesundes Kind zur Welt zu bringen, noch größer würde. Auf die Spitze getrieben gar, dass es die Anbieter von Pränataltests durch die Auswahl der Krankheiten, die getestet werden, in der Hand hätten, wie groß die Abweichung von einem „normalen“ Zustand sein darf, damit ein Kind nicht als „krank“ deklariert wird. Um dem vorzubeugen, hat der Bundesausschuss gleichzeitig mit dem Beschluss der Kostenübernahme durch die Krankenkasse auch festgelegt, dass der NIPT nur im begründeten Einzelfall bei einem erhöhten Risiko für eine Trisomie, ab dem 35. Lebensjahr, übernommen wird. Weiterhin soll er als verbesserte Version des Ersttrimester-Screenings eingesetzt werden und nicht als Ersatz invasiver Diagnostik. Auch in Zukunft dürfen die NIPTs nur von Gynäkologen durchgeführt werden, die eine Zusatzqualifikation zur „Fachgebundenen genetischen Beratung“ absolviert haben und ausdrücklich nur mit ausführlicher Beratung der Schwangeren. Der Bundesausschuss fordert auch, dass die Eltern explizit darauf hingewiesen werden, dass es ein Recht auf Nichtwissen, auch auf Teilergebnisse eines NIPTs gibt. Es liegt daher in der Verantwortung der Mediziner, umfassende Aufklärungsgespräche durchzuführen, Wahrscheinlichkeiten und Risiken von Testverfahren korrekt darzustellen und keinen Druck in eine bestimmte Richtung auszuüben, damit die Eltern eine informierte selbstständige Entscheidung treffen können.


Quellen

Ärzteblatt (2019a): Nicht invasive molekulargenetische Tests werden in bestimmten Fällen Regelleistung, 19.09.2019. Online verfügbar unter: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/106130/Nichtinvasive-molekulargenetische-Tests-werden-in-bestimmten-Faellen-Regelleistung [Zugriff: 23.12.2019].

Ärzteblatt (2019b): Pränatale Bluttests: Bundestag diskutiert über mehr als nur die Frage der Kassenleistung, 11.04.2019. Online verfügbar unter: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/102326/Praenatale-Bluttests-Bundestag-diskutiert-ueber-mehr-als-nur-die-Frage-der-Kassenleistung [Zugriff: 23.12.2019].

Beta, J.; Lesmes-Heredia, C.; Bedetti, C.; Akolekar, R. (2018): Risk of miscarriage following amniocentesis and chorionic villus sampling: a systematic review of the literature. In: Minerva Ginecologica. 70. Jg. 2018/02. S. 215–219.

Gemeinsamer Bundesausschuss (1985): Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die ärztliche Betreuung während der Schwangerschaft und nach der Entbindung („Mutterschafts-Richtlinien“).

Gemeinsamer Bundesausschuss (2019): Nicht-invasiver Test zum Vorliegen von Trisomien als mögliche Alternative zu invasivem Eingriff, 19.09.2019. Online verfügbar unter: https://www.g-ba.de/presse/pressemitteilungen/810/ [Zugriff: 23.12.2019].

Lifecodexx (2019): PraenaTest® Leistungsbewertung. Online verfügbar unter: https://lifecodexx.com/fuer-aerzte/praenatest-leistungsbewertung/ [Zugriff: 06.12.2019].

Nikolaides, K. H.; Spencer, K.; Avgidou, K.; Faiola, S.; Falcon, O. (2005): Multicenter study of first-trimester screening for trisomy 21 in 75 821 pregnancies: results and estimation of the potential impact of individual risk-orientated two-stage first-trimester screening. In: Ultrasound in obstetrics and gynecology. 25. Jg. 2005/25. S. 221–226.

Wegwarth, O.; Schwartz, L. M.; Woloshin; S.; Gaissmaier, W.; Gigerenzer, G. (2012): Do physicians understand cancer screening statistics? A national survey of primary care physicians in the United States. In: Annals of internal medicine. 156. Jg. 2012/06. S. 340–349.

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