Monopoly vs. Weconomy – Sinn und Unsinn alternativer Konsumkonzepte

Im März 1903 erschien die 37-jährige Lizzie Magie Phillips vor dem US-Patentamt, um ihre neueste Erfindung patentieren zu lassen: ein Brettspiel namens „Landlord’s Game“ mit politischem Bildungsauftrag. Das Spiel verläuft immer gleich: Am Ende gewinnt der Spieler, der Besitz durch Miet- und Grundeinnahmen anhäufen kann; alle anderen gehen leer aus. Ihre Idee sollte den Spieler_innen zeigen, dass ein gänzlich freier Markt zum Monopol führt. Sie bot allerdings auch eine alternative Spielform an: Die Spieler konnten kooperieren und das Land gemeinsam mieten. Lizzies Erfindung hatte jedoch zunächst keinen Erfolg. Erst ab 1935 sollte es bekannt werden – jedoch ohne eine politische Botschaft. Der Heizgeräte-Verkäufer Charles Darrow nannte es „Monopoly“, ließ es patentieren und wurde der erste Millionär der Spiele-Branche. Lizzie bekam 500 Dollar (vgl. Pilon 2015: o.S.).

Monopoly vs. Wecomony Beitragsbild

Konsum wird gemeinhin vom Privaten und Individuellen her gedacht. Lizzie Magie Phillips protestierte dagegen. Immer häufiger entstehen auch heute Ideen, gemeinschaftlich neue Formen des Konsums zu organisieren. Dahinter steckt die Annahme, dass Konsum in gesellschaftliche Bezüge eingebettet ist. Florence Kelley, Mitgründerin der National Consumers League in den USA, brachte diese Ansicht auf den Punkt: „To live means to buy, to buy means to have power, to have power means to have responsibility.“ (vgl. National Consumers League) Konsum hat damit sowohl politische als auch moralische Dimensionen. In Hinblick auf die gegenwärtigen Zustände und die globalen Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten wird diese Verknüpfung immer deutlicher: die immense Umweltbelastung, der unverhältnismäßige Ressourcenverbrauch, die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern oder die amoralischen Verhältnisse in der Massentierhaltung – der globale Kapitalismus als derzeitiges Wirtschaftssystem reproduziert diese Verhältnisse kontinuierlich weiter. Demgegenüber steht jedoch in verschiedenen Formen und Handlungsebenen eine Vielzahl von alternativen Entwürfen. Diese sind als Versuche einzustufen, die negativen Auswirkungen des zeitgenössischen Konsums in Bezug auf ökologische, arbeitsrechtliche oder lebensweltliche Dimensionen zu verringern. Sie implizieren dabei eine Abkehr vom rein individuellen Konsum ohne Bezugnahme auf andere Dimensionen des Konsums.

Wir unterteilen die Entwicklungen, Konsum kooperativ zu gestalten, analytisch in drei Kategorien: individuelle und gemeinschaftlich organisierte politische Konsumhandlungen sowie die Etablierung eines Wirtschaftssystems basierend auf einem neuen Konsumverständnis.

Die individuelle politische Konsumhandlung entspricht oftmals in erster Linie einem Verzicht auf bestimmte Konsumgüter unter Prämissen eines ökologisch, moralisch vertretbaren Produktionsprozesses. Einem bewussten Konsumverhalten ist meist eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit einem Produkt und dessen globalem Herstellungseffekt vorausgesetzt. Der Markt hat natürlicherweise auf diese neue Nachfrage reagiert – mit teils paradoxen Folgen: Bio-Produkte sind als neuer Absatzmarkt auch in Discounter eingekehrt. Grün wurde als Marke etabliert. Die Vielzahl an ökologischen Prüfsiegeln, mit mal mehr, mal weniger Aussagekraft, suggerieren eine neue Nachhaltigkeit großer Unternehmen und Konzerne. Weiterhin bleiben die Verkettungen, bezüglich der Zwischenhändler_innen, Lebensrealitäten und Herstellungsprozesse, weitestgehend intransparent.

Auf individueller Ebene entsteht also ein Bewusstsein für die eigene Konsumentscheidung, allerdings wird nicht selten eine Lücke zwischen Anspruch und realem Einfluss bleiben müssen. Gerade prekäre Lebensumstände und soziale Ungleichheit hemmen die Bereitschaft zu bewusstem Konsum. Existentielle Probleme lassen oftmals wenige Spielräume für eine nachhaltige Praxis. Berthold Brecht brachte es in der Dreigroschenoper auf den Punkt: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ (Brecht 1928: 67)

Der nächste Schritt ist es, auf kleinem Raum engere Bezüge zwischen Produzierenden und Konsumierenden herzustellen. Gemeinwohlorientierte Kollektive bieten alternative Modelle neben dem freien Markt an: Second-Hand Läden, Repair Cafés oder Foodsharing-Modelle sind gegenwärtige Beispiele. Vor allem das Konzept der solidarischen Landwirtschaft illustriert im Besonderen die Möglichkeit, in einen kleineren, für den Einzelnen überprüfbaren Produktionsablauf überzugehen und regionale Produkte vom direkten Erzeuger zu erwerben. Städte sind vor diesem Hintergrund von zentraler Bedeutung, neben ihrer entgegenstehenden Funktion als Konsumfabrik. Produziert und gemeinschaftlich verwaltet in ländlichen Regionen, finden die erzielten Erträge durch Sammelstellen in Cafés, sozialen Einrichtungen und sonstigen gemeinschaftlichen Orten ihren Weg in die Stadt und zu ihren Bewohner_innen. Alternative Konzepte werden durch diese institutionelle Einbindung damit sozial zugänglicher und wahrnehmbarer für die Öffentlichkeit. Die Akteure sind dabei nicht nur Konsumierende, sondern können sich auch vor Ort beteiligen. Die Produktion, Verteilung und Bezahlung des Essens wird in diesem Beispiel also durch den gemeinschaftlichen Zusammenschluss der Teilnehmer_innen übernommen. Im Gegensatz zum Wettbewerbs- und Konkurrenzcharakter kapitalistischen Wirtschaftens spiegeln Formen solidarischer Ökonomien also ein wechselseitiges Handeln zwischen den Menschen wider, welches sich demzufolge durch einen sozialen Sinn auszeichnet (vgl. Exner/ Kratzwald 2012: 23, 31). Das Politische ist das Zwischenmenschliche.

Konsumierende, die sich die Folgen ihres Konsums bewusst machen, sehen sich  jedoch einer Menge Widersprüche – auch sie selbst betreffend – gegenüber. Wie konsequent ist ein alternatives Konsumverhalten tatsächlich in das eigene Leben zu integrieren? Reicht die eigene Verhaltensänderung? Am Ende bleibt häufig die Erkenntnis, dass die aktuelle Form der Marktwirtschaft auf Prämissen beruht, die inhärent zu Ressourcenverknappung, Umweltverschmutzung und sozialer Ungleichheit führen. Mit Ansätzen wie der Postwachstums- und der Gemeinwohlökonomie (vgl. Adler/Schachtschneider 2017; Felber 2014) versucht man diesem Problem – zumindest auf theoretischer Ebene – zu begegnen.  Ein Wandel auf der praktischen Ebene bleibt herausfordernd. Denn: Ein Konsumbegriff, der isoliert von sozialen, moralischen oder politischen Bezügen verstanden wird, hat den Vorteil, dass er das hochkomplexe, oft frustrierende Aushandeln von Verantwortlichkeit im Zwischen der Menschen ausspart. Mit der Berücksichtigung des Anderen in der eigenen Konsumentscheidung wird das Leben ungleich komplizierter. Das Nachdenken über Produktionsbedingungen, Transportwege, Umweltfolgen und soziale Verhältnisse, die mit dem Konsum verknüpft sind, strengt an. Ebenso stellt es eine Herausforderung dar, den Wert der individuellen Freiheit positiv in neue Formen des Wirtschaftens mit moralischer Dimension zu integrieren. Im Zeitalter der Globalisierung bleiben Produktions- und Konsumprozesse komplex und resultieren in nicht-intendierten Folgen. Dennoch ist es sinnvoll, über Alternativen nachzudenken und nicht in Perspektivlosigkeit und konstruierte Dichotomien nach dem Prinzip Radikalveränderung/Status quo zu verfallen. Sowohl das Konsumerlebnis als auch die neoliberale Perspektive sind derart prägend für unsere Kultur, dass es manchmal so scheint, als wären sie ohne Alternative.

To live means to buy, to buy means to have power, to have power means to have responsibility. (Florence Kelley)

Gerade aber wegen der vielen gravierenden Konsequenzen sind Bemühungen um einen transparenten und an die Konsumierenden rückgekoppelten Produktionsprozess sinnvoll. Auch auf globaler Ebene gibt es Möglichkeiten, produzierte Güter aus anderen Ländern und Regionen ökologisch nachhaltig und unter Einhaltung arbeitsrechtlicher Grundsätze wie einer angemessenen Bezahlung zu erwerben. Eine Möglichkeit wären zum Beispiel Organisationen, die durch den direkten Kontakt mit den Erzeuger_innen und Arbeiter_innen Kooperationsverträge ohne Zwischenhändler_innen abschließen. Oftmals überzeugen sich diese Organisationen selbst von den Arbeitsbedingungen vor Ort, der Qualität der Produkte und der nachhaltigen Produktion und veröffentlichen transparente Berichte über ihre Besuche.

Transformationen leben sowohl von Grassroots-Bewegungen als auch vom Wandel auf größerer organisationaler Ebene (vgl. Welzer/ Sommer 2017: 34). Gewiss verlaufen solche Wandlungsprozesse in ernüchternder, aber auch behutsamer Langsamkeit. Dennoch: Dass das Bewusstsein über die Notwendigkeit einer solchen Transformation überhaupt vorhanden ist, ist bereits eine positive Entwicklung.

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Literatur

Adler, F./ Schachtschneider, U. (Hg.) (2017): Postwachstumspolitiken. Wege zur wachstumsunabhängigen Gesellschaft. München: oekom-Verlag.

Brecht, B. (1928): Die Dreigroschenoper – der Erstdruck 1928. Mit einem Kommentar von Joachim Lucchesi, Frankfurt am Main: Suhrkamp. 2004.

Exner, A./ Kratzwald, B. (2012): Solidarische Ökonomie und Commons. INTRO. Eine Einführung. Wien: Mandelbaum-Verlag.

Felber, C. (2014): Die Gemeinwohlökonomie ‑ ein Wirtschaftsmodell mit Zukunft. Wien: Paul Zsolnay Verlag – Deuticke Verlag. 3. Auflage. 2018.

National Consumers League (Hg.) (o.J.): History. A Look Back on 100+ Years on Advocacy. Online verfügbar unter: http://www.nclnet.org/history [Zugriff: 11.05.2018].

Pilon, M. (2015): Monopoly’s Inventor: The Progressive who didn’t pass ‘Go’. In: New York Times, 15.02.2015. Online verfügbar unter: https://www.nytimes.com/2015/02/15/business/behind-monopoly-an-inventor-who-didnt-pass-go.html [Zugriff: 11.05.2018].

Sommer, B./ Welzer, H. (2017): Transformationsdesign. Wege in eine zukunftsfähige Moderne. München: oekom-Verlag.

 

 

 

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