Immer diese Künstler … – Kritik eines eindimensionalen Gentrifizierungsbegriffes

Ob in medialen Berichterstattungen zu städtischem Wandel, als Thema kommunalpolitischer Veranstaltungen oder als Diskussionsgegenstand in der WG-Küche – der Begriff Gentrifizierung und der damit bezeichnete Trend hat in zahlreichen Städten seinen Weg in die Lebenswelt vieler Menschen geschlagen. So viele diesen Begriff zur Erklärung von steigenden Mietpreisen und Veränderungen in Sozial- und Baustruktur verwenden, so wenige treffen dabei den Kern dieses sozialräumlichen Prozesses. Gentrifizierung wird hierbei oftmals mit Yuppisierung und Subkulturalisierung von ehemals kiezigen Stadträumen assoziiert, in denen Pioniere und Gentrifier die antreibenden Akteure sind. Dies impliziert eine Konkurrenzsituation auf dem freien Markt, infolgedessen beispielsweise Studierende (Pioniere) durch ihr kulturelles Kapital oder alternative Wohnformen (Wohngemeinschaften) Altmieter verdrängen, daraufhin einkommensstärkere Haushalte anziehen (Gentrifier) und somit Viertel grundlegend verändern. Jedoch ist diese idealtypische Darstellung oftmals blind gegenüber strukturellen Bedingungen und einflussreichen Akteuren wie Eigentümerkonstellationen oder politischen Institutionen. Vielerorts sind es heute zusätzlich durchgeführte Aufwertungen, wie Luxussanierungen oder gezielte Investitionsstrategien zur Profitmaximierung, die ganz unterschiedliche Formen von Gentrifizierung implizieren. Marktbedingte wie politische-administrative Entscheidungen, privatwirtschaftliche Akteure und globales Kapital spielen demzufolge eine immense Rolle bei der Betrachtung von Gentrifizierung. Wie könnte also eine angemessene und zeitgemäße Beschreibung des Begriffes lauten?

Gentrifizierung soll in diesem Artikel als ein städtischer Umstrukturierungsprozess verstanden werden, welcher sich durch Formen der Aufwertung (physisch-baulich, funktional, symbolisch) und Verdrängung kennzeichnet (vgl. u.a. Krajewski 2006; Holm 2011; Bouali/Gude 2014). Derweilen existieren in der Forschung zu Gentrifizierung zahlreiche Definitionen, die jeweils unterschiedliche Schwerpunkte markieren. Hartmut Häußermann erläuterte in den 90er Jahren, dass wir von „Gentrification sprechen […], wenn in einem Stadtgebiet die Bewohner mit niedrigem Einkommen durch Bewohner mit höherem Einkommen und/oder anderen Konsumstilen ersetzt werden“ (Häußermann 1990: 35) und versteht so Gentrifizierung als sozialökologische Dominanzsituation zwischen Bevölkerungsgruppen. Überspitzt gesagt: Reiche verdrängen Arme aufgrund ihres ökonomischen Kapitals. Daran anschließende nachfrageorientierte Erklärungsansätze, die, wie in der Einleitung beschrieben, Gentrifizierung als Resultat von Konkurrenz unter Gruppen mit unterschiedlichem ökonomischen, kulturellen und sozialen Kapital erklären, waren dabei treffend und wichtig. Die Herausbildung als Forschungsgegenstand in den 60er Jahren durch die britische Soziologin Ruth Glass und die ersten wissenschaftlichen Arbeiten in den 70er Jahren gründeten sich explizit auf Beobachtungen, dass der innerstädtische Wohnraum massiv an Relevanz und Attraktivität gewonnen hat. Das Aufkommen neuer Lebensstile, Konsum- und Haushaltstypen und der Bedeutungswandel von Gebäudetypen (Altbau/Neubau) hat sich in den 80er und 90er Jahren nochmals gesteigert. Die ehemals von der Arbeiterklasse bewohnten innerstädtischen Viertel wurden von der Mittelschicht (wieder-)entdeckt, die zuvor maßgeblich in der Peripherie lebten (Suburbanisierung). Die Funktion der Stadt veränderte sich im Kontext des Strukturwandels, welcher sich durch eine Tertiärisierung (Übergang zur Dienstleistungsgesellschaft) und allmählich flexibilisierten Formen der Arbeit, des Lebens und des Wohnens kennzeichnete. Diese neue Nachfrage, heutzutage in vielen Großstädten auf ihrem Höhepunkt, ist eine konkrete Folge dieses fortlaufenden Bedeutungswandels des Urbanen.

Die Beschreibung von Gentrifizierung alleinig über eine veränderte Nachfrage und im Besonderen durch kulturelle Kapitale (Künstler, Studenten etc.), lässt jedoch außer Acht, dass die Stadt zunehmend global-ökonomisch durchdrungen ist. Ein immer stärker werdender, globalisierter Wirtschafts-, Finanz- und vor allem Wohnungsmarkt hat Städte weltweit in ihren Handlungsansätzen wie auch Eigentumsstrukturen transformiert. Die Kategorien Pioniere und Gentrifier spielen dabei kaum noch eine (aktive) Rolle (siehe Neubau-/Super-Gentrification; Symbolische Gentrification bei Holm 2011). Dennoch sind sie bis heute beliebte Erklärungsmuster in der öffentlichen Diskussion und werden vor allem von immobilienwirtschaftlichen Akteuren genutzt, da strukturelle und marktbedingte Kontexte ausgeblendet werden. Angebotsseitige Ansätze, die die ökonomisch-strukturellen Bedingungen in den Vordergrund ihrer Analyse stellen und somit die Bereitstellung eines speziellen Angebots fokussieren, sind demzufolge essentiell. Denn die Grundbausteine für Aufwertungs- und Verdrängungsprozesse liegen heute in der Beschaffenheit von Wohnungsmärkten (z.B. de-/reguliert), spezifischen Inwertsetzungsstrategien von Eigentümergruppen (v.a. Investoren, Pensionskassen, Fonds) und generell Maßnahmen politischer Administrationen.

Städte sind nicht mehr nur aus ihrem lokalen, regionalen oder nationalen Kontext heraus zu erklären. Vielmehr spielen globales Kapital und institutionelle Investoren eine verstärkte Rolle im städtischen Wandel, da Wohnungen als vergleichsweise sichere und dennoch gewinnversprechende Geldanlage gelten. Ein gegenwärtiges Beispiel in Deutschland ist das Wohnungsunternehmen Vonovia SE, welche ihren ursprünglichen Namen Deutsche Annington wohl nicht nur aus ästhetischen Gründen, sondern wegen ihres schlechten öffentlichen Rufs ablegte. Bei diesem und ähnlichen Unternehmen steht das Profitstreben im Vordergrund. Die Problematik eines privatwirtschaftlich dominierten Wohnungssektors bedingt sich explizit durch die soziale Blindheit des Marktes: „Auf dem Markt zählen weder Bedürfnis noch Bedarf, sondern nur die kaufkräftige Nachfrage zahlungswilliger Konsumenten.” (Krätke 1995: 196 [hervorgehoben im Original])

Der Einfluss der bereits angesprochenen politisch-administrativen Akteure wird vor allem hinsichtlich steuerlicher Subventionen, Mietpreiseinflussnahme und Bestandsentwicklung sichtbar. Die Herausbildung der unternehmerischen Stadt, welche unter den Prämissen des neoliberalen Handels agiert und Städte in einen Wettbewerb um Investoren treten lässt, führte vielerorts zum Verlust kommunaler und städtischer Autonomie. Großflächige Privatisierungsmaßnahmen (besonders drastisch ist die En-bloc-Strategie, mit welcher u.a. in Berlin in der Vergangenheit mehrere Häuserblöcke als Paket verkauft wurden, vgl. hierzu Uffer 2014: 68) und die Beendigung des sozialen Wohnungsbauprogramms sind zwei entscheidende Entwicklungen gewesen. Teure Rekommunalisierungsprozesse und fehlende Steuerungsmöglichkeiten (z.B. Bestandsschutz) sind heutige Folgen dieser politischen Entscheidungen.

Insbesondere gilt es, sich bewusst zu machen, dass Wohnungen in stark kapitalistisch formierten Gesellschaften als Kapitalanlage und Ware fungieren. Damit verknüpfte, folgenreiche immobilienwirtschaftliche Strategien zur Ertragssteigerung verdeutlichen diesen Umstand – Luxuswohnungen bringen mehr Ertrag als Sozialwohnungen. Durch die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen werden dringend benötigte Mietwohnungen dem Markt entzogen. Auch das Zusammenlegen von einzelnen kleineren Wohnungen, um diese in einem höheren Preissegment anzusiedeln, gehört zu diesen Strategien. Luxussanierungen beeinflussen zudem nicht nur den Bestand, sondern auch die kleinräumliche Mietentwicklung, denn sie wirken auf den Mietspiegel. Dieser wiederum dient als Faktor bei der Rent-Gap, welche die „Ertragslücke zwischen der aktuellen und potentiell möglichen Nutzung“ (Holm 2014: 102f.) einer Wohnung darstellt, maßgeblich also das Potential zur Ertragssteigerung definiert.

Wie zuvor geschildert, gibt es gegenwärtig verschiedene Hinweise darauf, Abstand zu nehmen von vereinfachten und idealtypischen Gentrifizierungserklärungen. Die Reduktion des Begriffes auf veränderte Lebensstile oder Wohnpräferenzen lässt oftmals die grundlegenden Strukturen des Wirtschaftssystems und Maßnahmen einzelner privatwirtschaftlicher und politischer Akteure aus dem Blickfeld verschwinden. Daher wundert es kaum, dass das framing von Gentrifizierung als natürlich-positiver Prozess vor allem von immobilienwirtschaftlichen wie neoliberalen Akteuren vorangetrieben wird. Doch betrachtet man die Strategien von immobilienwirtschaftlichen Akteuren zur Ertragssteigerung, analysiert politisch-administratives Vorgehen zur Strukturierung des urbanen Raumes und verfolgt das Einwirken globalen Kapitals auf heutige Städte, kommt man zu einer anderen Auffassung. Dennoch spielen weiterhin auch soziodemografische und kulturelle Aspekte eine immense Rolle. Gegenwärtige Gentrifizierungsforschung impliziert daher auch eine Verzahnung der vorgestellten theoretischen Stränge (nachfrage- und angebotsseitige Erklärungsansätze) und sichert eine zunehmend gesamtheitliche, mehrdimensionale Analyse. Das Einnehmen einer solchen Perspektive ist wesentlich, um die gegenwärtigen Auswirkungen auf die Stadt und ihre Bewohnerschaft in Form von Verdrängung, Verknappung von Wohnraum und fortschreitender Segregation gehaltvoll zu adressieren.

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Quellen

Bouali, K.; Gude, S. (2014): Gentrifizierung oder Wiederkehr der Wohnungsnot? Sozialstrukturelle Entwicklungstendenzen in Berliner Innenstadtwohngebieten. In: Holm, Andrej (Hg.) (2014): Reclaim Berlin. Soziale Kämpfe in der neoliberalen Stadt. Berlin/Hamburg: Assoziation A. S. 27–49.

Häußermann, H. (1990): Der Einfluß von ökonomischen und sozialen Prozessen auf die Gentrification. In: Blasius, Jörg; Dangschat, Jens S. (Hg.): Gentrification. Die Aufwertung innenstadtnaher Wohnviertel. Frankfurt/New York: Campus Verlag. S. 35–50.

Holm, A. (2011): Gentrification in Berlin: Neue Investitionsstrategien und lokale Konflikte. In: Herrmann H., Keller C., Neef R., Ruhne R. (Hg.): Die Besonderheit des Städtischen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 213–232.

Holm, A. (2014): Gentrification. In: Belina, Bernd; Naumann, Matthias; Strüver, Anke (Hg.) (2014): Handbuch Kritische Stadtgeographie. Münster: Westfälisches Dampfboot. S. 102–107.

Krajewski, C. (2006): Urbane Transformationsprozesse in zentrumsnahen Stadtquartieren: Gentrifizierung und innere Differenzierung am Beispiel der Spandauer Vorstadt und der Rosenthaler Vorstadt in Berlin. Münster: Institut für Geographie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

Krätke, S. (1995): Stadt – Raum – Ökonomie: Einführung in aktuelle Problemfelder der Stadtökonomie und Wirtschaftsgeographie. Basel/Boston/Berlin: Birkhäuser Verlag.

Uffer, S. (2014): Wohnungsprivatisierung in Berlin – Eine Analyse verschiedener Investitionsstrategien und deren Konsequenzen für die Stadt und ihre Bewohner. In: Holm, Andrej (Hg.) (2014): Reclaim Berlin. Soziale Kämpfe in der neoliberalen Stadt. Berlin/Hamburg: Assoziation A. S. 64–82.

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